Donnerstag, 17. August 2017

Vorschau: Hertha BSC - VfB Stuttgart

Zum Start der neuen Saison erwartet den VfB mit Hertha BSC ein im Aufbauspiel sehr unangenehmer, aber im Pressing vielleicht ganz passender Gegner.

Herthas Spielaufbau


Das Markenzeichen von Pal Dardais Hertha ist ein sehr geduldiges, kontrolliertes Aufbauspiel mit vielen Kurzpässen. Dazu formen sie ihre 4-4-2-Grundordnung in ein 3-1-5-1 um, indem ein Sechser abkippt, die Flügelspieler in die Achter- oder Zehnerräume einrücken und die Außenverteidiger auf mittlere Höhe aufrücken. Die erste Aufbaureihe lässt dann unter Einbindung der häufig in die Halbräume zurückfallenden Flügelspieler den Ball laufen und wartet bis der Gegner eine Lücke offenbart.

Die massive Besetzung des Zentrums zeigt, dass Hertha diese Lücken gerne in der Mitte sucht. Allerdings konzentrieren sich die meisten Mannschaften im Pressing eben auch vorrangig auf das Zentrum. Hertha hat zudem vorne eher Tempospieler am Start, anstatt kreative, engenstarke Akteure, die so ein Pressing vielleicht aushebeln könnten. Dazu kommt, dass die Berliner sich das Zentrum mit engen, unbalancierten Überladungen manchmal selbst zu eng machen und dann zu wenig in die Halbräume ausweichen. Zentrumsangriffe sind also möglich, sollten aber für eine solide Bundesligamannschaft auch zu verteidigen sein.

Spielt Hertha den Ball auf den Flügel, verschiebt die Mannschaft logischerweise mit und Herthas Zentrumsüberladungen werden in Halbraum- und Flügelüberladungen umgewandelt. Wichtigster Ausgangspunkt, um diese Struktur zu bespielen ist Mitchell Weiser (sofern er Rechtsverteidiger spielt), der mit Pässen oder Dribblings druckvolle diagonale Angriffe einleiten kann. Im Anschluss kann zum Beispiel Ibisevic kreative Bälle auf Leckie oder Esswein durchstecken oder ballfern Kalou für Dribblings gesucht werden. Alternativ spielt Hertha manchmal auch die Linie entlang, um sich risikolos akutem Pressingdruck zu entziehen. Lange Bälle spielen sie ohne Druck nur vereinzelt, um die potentiell präsente letzte Linie direkt einzubinden.

Herthas Pressing


Defensiv spielt Dardais Mannschaft üblicherweise ein in alle Richtungen sehr kompaktes 4-4-2-Mittelfeldpressing und versucht den Gegner damit aus dem Zentrum rauszuhalten. Gerade die Mittelfeldreihe steht und verschiebt sehr kompakt und lässt durch die gute Defensivarbeit vor allem von Skjelbred, Darida und Leckie wenig Lücken. Die Sechser suchen sich gerne Mannorientierungen, und schieben so Überladungen zu oder machen Druck auf zurückfallende Gegenspieler. Die beiden Spitzen blockieren vor allem den Sechserraum und vernachlässigen dafür tendenziell etwas die komplette Breitenabdeckung.

Auch ein Angriffspressing hat die Hertha im Repertoire. Das findet in einem 4-1-2-1-2 statt: Ein Sechser schiebt weit nach vorne auf den tiefsten Sechser des Gegners, die Flügelspieler nehmen Zwischenpositionen ein und übernehmen ballnah den Außenverteidiger. Die Stürmer stehen wie im Mittelfeldpressing recht eng und versuchen dann nach außen zu isolieren. Dahinter wird eng mannorientiert nachgeschoben und der Zugriff gesucht. Ich hab noch zu wenig von Hertha gesehen um einschätzen zu können, wie flüssig die Abwehr zwischen aggressivem Herausrücken im Angriffspressing und ihrer eigentlich eher passiven Verhaltensweise im Mittelfeldpressing wechselen kann. Könnte ein Problemherd sein, muss aber nicht.

Zuletzt stimmt bei Hertha auch das Rückzugsverhalten, wenn sie überspielt sind oder das Gegenpressing nicht greift. Die Mannschaft lässt sich diszipliniert und aufmerksam wieder ins 4-4-2 fallen, gerade die beiden Sechser konzentrieren sich gleichzeitig darauf, dem Gegner die Optionen zu nehmen. Dazu passt, dass das Gegenpressing selbst bereits so eine Mischung aus dem aggressivem Nachsetzen, das man üblicherweise mit Gegenpressing assoziiert, und aktivem Zurückfallen ist.

Wie der VfB verteidigen könnte


Der VfB hatte zuletzt im Test gegen Betis noch Probleme mit einer speziellen 4-4-2/4-2-3-1-Variante im Pressing gehabt. Im Pokal gegen Cottbus probierte Wolf etwas anderes aus und stellte auf ein hohes 4-1-4-1-Pressing um. Interessanterweise blieb dabei der Mittelstürmer zentral oder setzte sich sogar etwas ballfern ab, während die beiden Achter zusammen weit verschoben, der ballnahe Achter ging auf den Innenverteidiger am Ball und der ballferne Achter ging auf den zentralen Sechser. Projiziert auf Herthas 3-1-5-1 könnte das etwa so aussehen:

4-1-4-1-Pressing aus dem Cottbus-Spiel gegen Herthas 3-1-5-1

Damit könnte man ordentlich Druck auf das Aufbauspiel der Hertha machen. Der Nachteil dabei: Man verbraucht ganze drei Spieler, um die vier Herthaner in den ersten zwei Linien zu pressen. Das ist erst einmal nicht besonders effizient. Im Optimalfall stellt Donis hier Kalou in den Deckungsschatten, Akolo bockiert den Pass auf Plattenhardt und Ofori und Brekalo positionieren sich balanciert. Das sind aber schon eine ganze Menge Bewegungen, die da passen müssen, zumal man gerade von Gentner und Akolo keine konstante Unterstützung des Sechserraums erwarten kann, wenn man überspielt wird. Möglich also, dass die Berliner hier zu viele Räume für ihre Zentrumsangriffe finden würden.

Die naheliegende Alternative wäre das übliche, zugegeben ziemlich langweilige 4-4-2-Mittelfeldpressing. Damit wäre das Zentrum besser geschützt und der VfB könnte Hertha wohl recht zuverlässig auf die Flügel abdrängen. Allerdings könnte Hertha dann gegen die Doppelspitze komfortabel 4-gegen-2 aufbauen und sich mit ihrem geduldigem Passspiel ein deutliches Ballbesitzplus sichern. Das Mindeste wäre, dass sie die Zugriffsversuche des VfB gut umschiffen sollten, sodass sie keiner allzu großer Kontergefahr ausgesetzt sind. Dann könnte es passieren, dass der VfB nicht mehr viel vom Ball sieht, und zu wenig eigene Angriffsversuche starten kann.

Die Abwägung zwischen tiefem oder hohem Verteidigen scheint mir wegen Herthas ruhigem Aufbauspiel bei gleichzeitig ordentlichem Potential für Schnellangriffe und Stuttgarts Grund-Mittelmäßigkeit im Pressing besonders pikant zu sein. Das Spiel schreit geradezu nach einer coolen Pressinganpassung von Wolf.

Wie der VfB angreifen könnte


Wenn der VfB in eigene Ballbesitzphasen findet, kann er mit seiner wuchtigen, extrem dribbelstarken Offensive der Hertha prinzipiell sehr gefährlich werden. Wie gut der Gegner das Zentrum verteidigt, interessiert den VfB ohnehin nicht so besonders, weil man eher weiträumig und flügellastig aufbaut, und versucht die Dribbler mit direkten Bällen einzusetzen. Die zuletzt mit dem kreativen Akolo besetzte halbrechte hängende Spitze sollte Hertha zwar gut unter Kontrolle bekommen, über die Flügel könnte der VfB aber entscheidende Vorteile herausholen.

Dafür würde sich eine Reaktivierung des 4-1-(0-)4-1 aus dem vergangen Frühjahr anbieten (das 4-1-4-1 gegen Cottbus war deutlich konventioneller und näher an einem 4-2-3-1 dran). Der VfB hätte damit fünf Angreifer in den Schnittstellen von Herthas Viererkette lauern und könnte diese Überzahlsituation mit Direktangriffen bespielen, zum Beispiel über weite Verlagerungen, die gegen Herthas kompaktes Verschieben immer mal wieder funktionieren.

Diagonalball mit anschließendem Dribbling zwischen die Linien. Läufe in die Tiefe binden die Abwehrkette.

Außerdem könnten die Achter die Mannorientierungen von Herthas Sechsern ausnutzen und mit diagonalen Vorstößen nach außen Räume im Zentrum öffnen. Solche Läufe sind von Viererketten immer schwierig aufzunehmen, weil sich der Außenverteidiger meist am Flügelspieler und die Innenverteidiger am Mittelstürmer orientieren. Daher werden das bei Hertha wahrscheinlich umso mehr die Sechser machen. Gerade auf rechts könnte man so Situationen schaffen, in denen der Rechtsverteidiger diagonal andribbeln oder der Sechser angespielt werden kann.

Achter-Vorstoß öffnet den Halbraum

Sowohl Pavard als auch Zimmermann können beispielsweise solche Situationen nutzen, um direkte Bälle hinter die Abwehr zu spielen. Passenderweise würde man mit einem Fokus auf die rechte Seite auch den defensivstarken Leckie umgehen.

So vielversprechend die Möglichkeiten in der Offensive aussehen, muss man in der einzelnen Situation immer noch irgendwie an der Abwehr vorbeikommen. Und da kann dann auch viel von Kleinigkeiten abhängen. Schafft es der VfB, ein frühes Führungstor zu schießen, hätte man einen großen Vorteil für den Rest des Spiels, weil man nicht mehr unbedingt den Ball haben müsste. So oder so wird es wohl ein eher unproduktives Spiel werden, in dem aber beide Mannschaften gleichermaßen das Potential haben, sich phasenweise oder vielleicht sogar über das ganze Spiel hinweg ein klares Übergewicht zu erarbeiten.

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