Seiten

Samstag, 16. Dezember 2017

Das Stabilitätsparadoxon

Der VfB verliert gegen Hoffenheim. Den taktischen Diskussionsstoff lieferten vor allem die defensiv anmutenden Umstellungen von Hannes Wolf.

Erste Halbzeit: Ambivalentes Pressing gegen starken Aufbau


"Bis dahin [Anm: bis zu den Ausfällen von Donis und Akolo] waren wir gut im Spiel. Ich glaub die Anfangsphase ging klar an uns. Da standen wir hoch in den Räumen, haben Balleroberungen gehabt, haben Torchancen auch gehabt, hatten gute Szenen."
- Hannes Wolf auf der Spieltags-PK vor Bayern.

Hoffenheim ging das Ballbesitzspiel mit einer Raute und viel Ambition und Plan an. Vogt spielte vor der Abwehr, Geiger startete auf der Zehn. Nachdem sie zu Beginn ein bisschen Probleme hatten, die Schnittstellen der Abwehr im Umschaltmoment zu kontrollieren, stellten sie nach 10 Minuten auf 3-1-4-2 im Aufbau um, indem Vogt und Geiger jeweils eins nach hinten gingen. Defensiv spielten sie ohnehin von Beginn an 5-3-2.

Dagegen setzte der VfB auf hohes Pressing und Mannorientierungen. Gentner und Ascacibar spielten recht klare und enge Basis-Mannorientierungen auf Hoffenheims hohe Achter Rupp und Demirbay. Beck und Insua liefen bei Bedarf die tief angebundenen Außenverteidiger an, wobei Beck überraschenderweise viel flexibler unterwegs war als Insua. Davor formierten sich die übrigen drei Offensivspieler ungefähr auf gleicher Höhe. Donis stand zwischen Baumann und Vogt (nach der Umstellung zwischen Geiger und Vogt) und presste gelegentlich zentral durch. Die beiden Zehner verteidigten hauptsächlich die Innen- bzw. Halbverteidiger.

Aus dieser Konstellation ergaben sich für den VfB im Mittelfeld potentiell große Schwierigkeiten: Hoffenheims Sechser war ungedeckt, weil die VfB-Sechser gegen die Achter gebunden waren und die erste Pressinglinie die Dreierkette (erst mit Baumann in der Mitte, dann eben mit Vogt) attackieren wollte. Gelöst wurde dieses Problem dadurch, dass Donis äußerst konzentriert den Passweg zum Sechser verteidigte. Außerdem halfen sich Donis und die Zehner gegenseitig: Rückte einer der Zehner vor, ließ sich Donis etwas fallen. Rückte Donis raus, orientierte sich ein Zehner Richtung Sechser. Damit konnte der VfB den einfachen Ball auf Geiger/Vogt verhindern und trotzdem vorne Druck machen. Was blieb war ein kleineres Risiko gegen Lupfer und Ablagen von vorderen Spielern.

In den ersten Minuten gegen Hoffenheims Raute wurde aus dieser 2-gegen-3-Unterzahl im Mittelfeldzentrum sogar eine 2-gegen-4-Unterzahl, falls Geiger sich fallen ließ. Diese Unterzahl bestand nicht nur auf dem Papier, sondern manifestierte sich real auf dem Spielfeld in Form von Raumvorteilen und ungedeckten Spielern. In dieser Phase, aber auch nachher im 2-gegen-3 mussten die Sechser (wie auch umliegende Spieler) also immer wieder die Gegner geschickt übergeben, damit nicht einer plötzlich frei an den Ball kam. Besonders schwierig war das eben für die Sechser, weil Rupp und Demirbay immer wieder in die letzte Linie schoben. Teilweise folgten Ascacibar und Gentner deren Bewegungen einfach. Manchmal übergaben sie dann nach hinten, etwa wenn vor ihnen gerade ein freier Mann angespielt wurde. Ascacibar machte in diesen kniffligen Übergabemomenten erwartungsgemäß eine deutlich bessere Figur als Gentner und konnte manchmal sogar den Sechser aufnehmen, ohne Probleme zu verursachen. Insgesamt funktionierte die Kommunikation (gerade zwischen den Mannschaftsteilen) aber auf dem ganzen Feld sehr gut.

Etwa ab der 20. Minute schaffte es Hoffenheim aber immer häufiger, sich aus dem Angriffspressing zu lösen. Weil dieses ganze Konstrukt schon so metastabil war, reichten Kleinigkeiten in den Situationen, um den Unterschied auszumachen. Zum Beispiel konnte Hoffenheim in Szenen, wo der Flügelverteidiger am Ball war und der VfB-Zehner den Rückpass zum Halbverteidiger (statt erstmal den Pass in die Mitte) zustellte, ganz einfach Geiger freispielen, der dann vom zurückeilenden Stürmer erst wieder eingefangen werden musste. Manchmal fand nun auch der starke Gnabry Raum (seltener Uth). Gnabry setzte sich weit auf die Flügel ab oder fiel auf mittlerer Höhe in den Halbraum zurück und entzog sich so dem Halbverteidiger. In Zusammenarbeit mit Rupp oder Demirbay als Raumöffner konnte er dann tororientierte Aktionen starten. Auch Pässe in die letzte Linie mit anschließendem "Kreuzen vor dem Ball" waren ein gutes Mittel, um einen freien Mann an den Ball zu bekommen, allerdings konnte Ascacibar (auch begünstigt durch seine tiefe Grundposition bzw. die hohen Achter der TSG) die meisten dieser Aktionen, die ja dann erstmal horizontal durch den Raum vor der Abwehr laufen, wegverteidigen.



Nun betonte Wolf nach dem Spiel nicht zu Unrecht, dass für ihn das Pressing mit den Wechseln schwächer wurde (zur zeitlichen Einordnung: 26. Asano für Donis und 37. Brekalo für Akolo). Das scheint den ersten Gedanken nach paradox. Asano und Brekalo sind eigentlich die beiden defensivstärksten Offensivspieler im Kader, vor allem wegen ihrer Laufstärke. Gewissermaßen war aber genau diese Qualität das Problem.

Im Pressing des VfB, bestand eine tragendes Säule darin, dass der Mittelstürmer konsequent den Pass auf den Sechser zustellte - sonst wäre das Pressing mit einem simplen Pass auszuhebeln gewesen. Dem fleißigen Laufspieler Asano fiel diese präzise, kleinräumige Rolle weniger zu als dem fast schon etwas faulen Donis (zumindest wenn man von der Komponente Rückwärtspressing absieht). Der Japaner lief häufiger an und vernachlässigte die Passwege im Detail. Außerdem übernahm er bei guter Gelegenheit auch einen Halbverteidiger, sodass dann der betroffene Zehner Asanos Rolle übernehmen musste und damit auch wieder etwas andere, ungewohnte Aufgaben hatte.

Erschwerend kam hinzu, dass Vogt ab der 30. Minute ohne Ball sehr aktiv wurde und auf die Sechs oder halblinks rausschob. Dieser Kniff verfehlte seine Wirkung nicht: Ging Vogt auf die Sechs, mussten die drei Angreifer sogar zwei Spieler in ihrem Rücken verteidigen, und das obwohl sie mit einem schon nicht mehr richtig klar kamen. Ging Vogt nach halblinks zog er manchmal Asano mit sich und öffnete so ganz simpel den Passweg Baumann-Geiger. Die Tatsache, dass Brekalo sich in derartigen Situationen balanciert zu Geiger orientierte, sorgte für wichtige Schadensbegrenzung.



Insgesamt halfen das gute Rückzugsverhalten und eine konzentrierte Endverteidigung mit fünf Verteidigern und zwei tiefen Sechsern dabei, dass Hoffenheim der entscheidende Durchbruch verwehrt blieb. Die beste Chance hatte Uth nach 39 Minuten. Damit diese Chance entstehen konnte, brauchte es aber eben auch einen außergewöhnlichen finalen Pass von Gnabry. Nach 45 Minuten standen nur 3 Schüsse auf dem Konto von Hoffenheim, keiner davon ging aufs Tor. Dennoch konnte es mit diesem Pressingplan in der Form nicht weitergehen und es ist gut, dass Wolf das erkannte.

Zweite Halbzeit: Von Mittelfeldzustellen bis Abwehrriegel


"... Und dann trotzdem auch aus der defensiveren Formation im Anlaufen, weil wir gemerkt haben dann nach den Wechseln, dass wir vorne keinen Zugriff bekommen haben, dass wir in der zweiten Halbzeit das Anlaufen tiefer gestaltet haben, haben wir sehr gut verteidigt. Und wir hatten echt n paar Konterszenen die ihr wahrscheinlich schon vergessen habt, weil sie dann gar nicht entstehen, aber wo du richtig was entwickeln kannst, das haben wir nicht geschafft."

Der VfB meldete sich schließlich mit einem 5-3-2-Mittelfeldpressing aus der Pause zurück. Özcan spielte eine Reihe tiefer und Gentner tauschte mit Ascacibar die Seiten, sodass er rechts auf die Acht gehen konnte. Hoffenheims Aufbaudreierkette ließ der VfB nun in Ruhe. Die Stürmer versperrten den Sechserraum und leiteten passiv, manchmal aktiv zum Flügel. Dort wurde Flügelverteidiger von Flügelverteidiger angelaufen, der ballnahe Stürmer stellte den Halbverteidiger zu und der ballferne Stürmer erreichte im Optimalfall noch den Dunstkreis von Vogt. Gentner und Ascacibar übernahmen in diesen Flügelsituationen enge Mannorientierungen (Özcan hingegen spielte kurioserweise sehr positionsorientiert). So konnte der VfB den Gegner teilweise in einem lokalen Setting zustellen. Das war lange nicht so zugriffsstark wie das Ganzfeld-Angriffspressing aus Halbzeit eins, sorgte aber in Szenen, wo Hoffenheim lange genug auf dem Flügel blieb und dann nicht verlagerte oder zu Baumann zurückspielte, für guten Zugriff und den einen oder anderen Ballgewinn.

Wie so häufig klappte die Umstellung aber nicht reibungslos. Dass Gentner und Ascacibar viel mannorientierter spielten als Özcan war vermutlich ein Relikt des ursprünglichen Pressingplans. So waren die Abstände in der Mittelfeldreihe recht unausgeglichen, außerdem verschob Gentner nie auf den Flügel nach und orientierte sich meist eng an Rupp. Mit Rupps schlauem und fleißigem Bewegungsspiel kam Gentner jedoch weniger gut zurecht als mit dem ohne Ball etwas unauffälligeren Demirbay. So fand Hoffenheim immer mehr Räume über links. Rupp öffnete mit seinen Vorstößen Raum für Hübner und den nach wie vor tief angebundenen Schulz. Während Hübner diesen Raum konsequent ausschöpfte, fehlte Schulz etwas die Dribbelstärke, um die (aus VfB-Sicht) instabile 1-gegen-1-Konstellation mit Beck aufzulösen.

Etwa ab der 60. Minute konnte der VfB weniger Zugriff entwickeln und musste sein Pressing weiter zurückziehen. Da die Pressingstruktur erhalten blieb, änderte sich die Aufgabe für Hoffenheim nur wenig. Die Distanz zum Tor wurde kleiner und Verlagerungen einfacher.



Zur 65. Minute versuchte Wolf erneut negativen Folgen vorzubeugen und stellte auf 5-4-1 um - Brekalo reihte sich rechts ins Mittelfeld ein. Zu Beginn rückten die Flügelspieler vereinzelt noch auf die Halbverteidiger auf, später verteidigten sie aus einer engen Grundposition heraus gegen die Flügelverteidiger und befreiten Insua und Beck nach hinten. Die Mittelfeldreihe wirkte mittlerweile aber sehr improvisiert und verschob unsauber und reaktiv. Der Fokus lag konstant darauf, sich nach hinten zu orientieren und den Raum zwischen Mittelfeld und Abwehr zu komprimieren, vor allem in Ballnähe und in tiefer Grundstellung. Dem VfB gelang es so aber nicht mehr, Hoffenheim am Aufrücken zu hindern und entwickelte zwischen dem Mittelfeld und der einsamen Sturmspitze Asano nicht mehr viel Druck. Kontern ging auch nicht mehr.



"... und kriegen dann halt aus ner Situation wo wir gut stehen das Gegentor."





Offene Fragen


- Hätte es gegen die Pressingprobleme der ersten Halbzeit gereicht, einfach Asano mit Özcan (oder Brekalo, der die Rolle situativ gut spielte) zu tauschen? Falls ja, wie lange hätte der Ansatz noch überlebt?
- Woher kam das "Zurückgedrängtwerden" in den Minuten vor der zweiten Umstellung genau?
- Reagierte Wolf mit der zweiten Umstellung auf den fehlenden Zugriff, auf die Probleme (halb-)rechts oder auf beides?
- Welche Rolle spielten leicht unsortierte Szenen, etwa wenn nach eigenen Angriffen noch ein Mann im Pressing fehlt? Gefühlt konnte der VfB solche Situationen besonders schwer auffangen.
- Wie viel Potential hatten die Konter beim VfB in den verschiedenen Phasen genau?
- Woher kommen eigentlich immer diese Umstellungen bei Hoffenheim? Vorgeplant, eingegriffen oder selbst organisiert?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit der Nutzung der Kommentarfunktion werden Formulardaten und möglicherweise weitere personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse) an Server von Google übertragen.

Datenschutzerklärung: https://www.vfbtaktisch.de/p/datenschutz.html
Datenschutzerklärung von Google: https://policies.google.com/privacy