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Donnerstag, 12. März 2015

Daniel Schwaab

Wenn man versucht, die öffentliche Meinung über Daniel Schwaab zu fassen, stößt man im Normalfall auf eine neutrale bis deutlich negative Einschätzung. Technisch limitiert, träge, unbeweglich, fehlerhaft ohne Ende; dazu allenfalls ein Möchtegern-Führungsspieler - das ist ungefähr die Einschätzung, die man am unteren Ende dieser Bewertungsskala zu hören bekommt. Wohlwollendere Beobachter halten ihn dagegen vielleicht noch für einen durchschnittlichen Bundesligaspieler. Tatsächlich sind aber weder kacke noch durchschnittlich Attribute, die dem vordergründig sympathischen und zurückhaltenden Abwehrmann des VfB gerecht werden. Im Gegenteil.

Aufbauspiel über alles


Ich kann meine Qualitäten im Spielaufbau und dem Spiel nach vorne einbringen und gewinne ein Spiel lieber mit 5:4 als 1:0. Die Zuschauer kommen ins Stadion, um unterhalten zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Zuschauer damit zufrieden sind, wenn sie eine Mannschaft sehen, die ausschließlich versucht zu mauern und auf Fehler des Gegners zu warten. Wir wollen unsere Stärken ins Spiel einbringen. Das funktioniert am besten, wenn wir selbst aktiv nach vorne spielen.
- Daniel Schwaab, November 2014 unter Armin Veh

Einer seiner eher seltenen öffentlichen Auftritte vor einigen Monaten beim SWR (die Sendung ist leider nicht mehr online) machte deutlich, dass Schwaab eine sehr moderne und aktive Vorstellung vom Spiel als Verteidiger hat. Das spiegelt sich vor allem in der Art und Weise wider, wie er das Spiel aufbaut. Er hat sowohl die technischen Fähigkeiten am Ball, als auch das taktische Verständnis, um das Spiel intelligent und sauber zu eröffnen. Sein tolles Gespür für Dynamiken und Räume und sein umfassender Überblick des Geschehens ermöglichen ihm dabei eine enorme Reichweite bei gleichzeitig großer strategischer Sicherheit.

Daraus hat er ein besonderes Markenzeichen entwickelt: Nach kurzen Vorstößen, bei denen die gegnerische Abwehr zurückweicht, sucht er fast nie den Pass direkt hinter die Abwehr, sondern bespielt gerne die Rückzugsdynamik mit einem hohen Ball zwischen die Linien. Diese gefühlvollen und mit dem richtigen Drall versehenen Pässe sind gut zu verarbeiten und oft so herausragend getimt, sodass der Gegner keinen Zugriff bekommt und man selbst anschließend direkt vor der gegnerischen Abwehrkette weiterspielen kann.

Generell sind kreative lange Bälle zweifellos ein herausstechendes Merkmal von ihm; gerade wenn er Rechtsverteidiger spielt, arbeitet er auch oft mit Halbfeldflanken in die Dynamik hinein - das drückt seine Passquote auf eher unterdurchschnittliche 76%. Zusammen mit seinem staksigen Bewegungsablauf und seltenen technischen Fehlern (die dann aber meistens doof aussehen) kommt so vermutlich das gemischte Meinungsbild über Schwaabs spielerische Fähigkeiten zustande. Mit dem klassischen Bolzen hat er allerdings nicht viel am Hut. Etwas anders als früher überspielt er auch nur noch selten sinnvolle Optionen im Zentrum, wobei das beim VfB ohnehin nicht immer mit sinnvoller Bewegung gefüllt wird.

Daneben beherrscht ein derart intelligenter Aufbauspieler natürlich auch den flachen Ball, den er nach strategischen Gesichtspunkten wählt und gerne diagonal in Freiräume hineinspielt. Dazu kann er auch in offene Kanäle andribbeln und so Gegner auf sich ziehen und dann verlagern. Generell ist er hier nicht verschwenderisch und nutzt offene Räume konsequent aus. Dennoch fallen gerade als Außenverteidiger gelegentlich Schwächen in der Beweglichkeit auf. Hier kann er sich nicht ganz so extrem gegen pressende Gegenspieler behaupten, wie man es als VfB-Fan von wuseligen und sehr kreativen Spielern wie Arthur Boka und Gotoku Sakai gewohnt ist bzw. war. Fazit trotzdem: Schwaabs Aufbauspiel? Nahezu Weltklasse.

Gegen den Ball


Es gibt immer Bereiche, in denen man sich verbessern kann. Bei mir ist das ganz klar die robustere Zweikampfführung. Nichtsdestotrotz sind meine Quoten nicht so schlecht.
- Daniel Schwaab, November 2014

Gut Fußball spielen zu können macht aber natürlich noch längst keinen brauchbaren Verteidiger. Defensive Kompetenz ist immer noch das A und O. Seine clevere Spielweise macht Schwaab aber auch in diesem Bereich zu einem modernen und guten Bundesligaspieler.

Besonders an seinem Auftreten gegen den Ball ist, dass er sich sehr aktiv verhält und ständig mitdenkt. Er spielt auf beiden seiner Hauptpositionen gern aggressiv und, falls vom System so vorgesehen, auch mannorientiert gegen den Linksaußen oder den Mittelstürmer des Gegners. Die Entscheidung, wann er seine Position, gegebenenfalls auch sehr weit, velässt, trifft er auf mutige und vorausschauende Weise, aber in den richtigen Momenten auch mit der passenden Zurückhaltung. Diese Spielweise erfordert einiges Mitdenken um ihn herum - wenn das gewährleistet ist, sorgt das im Kollektiv normalerweise für hohe Anpassungsfähigkeit und Stabilität. Nach dem Herausrücken kommt er gut in die Zweikämpfe, vermeidet geschickt Fouls und sorgt damit auch für wertvolle Balleroberungen zum Kontern. Diese Eigenschaften machen ihn zu einem vielseitigen Defensivmann, der sich in vielen Systemen zurechtfindet und es bisher unter sämtlichen Trainern beim VfB zum Stammspieler schaffte - von Thomas Schneider mit seinem Reißbrett-4-4-2 bis hin zu Stevens und seinen Manndeckungen.

Lediglich wenn er viel Raum um sich herum hat, kann er im direkten Duell Probleme gegen bewegliche Spieler bekommen und findet dann manchmal nicht die richtige Balance. Seine Endgeschwindigkeit ist überdurchschnittlich, wobei er natürlich nicht die Dynamik von Boateng und Thiago Silva besitzt. Auch im Luftduell überzeugt er trotz seiner für einen Innenverteidiger eher geringen Körpergröße von 1,86m - mit 60% gewonnener Kopfballduelle stellt er sogar den höchsten Wert beim VfB und rangiert knapp vor Timo Baumgartl und Antonio Rüdiger. Eher sind es diese gelegentlich auftretende Probleme im Zweikampf und Kleinigkeiten in der genauen Positionierung und dem Deckungsverhalten im Strafraum, die Schwaabs eigentlich sehr gutes Gesamtpaket ein bisschen trüben und ihn von einer ganz großen Karriere als Nationalspieler trennen.

Ballverlust - das zweifelsfreie Signal für den Innenverteidiger (!) den gegnerischen Stürmer nach der Ballannahme 30 (!) Meter zurück in seine Hälfte zu drängen.

Fazit


Wer den Goalimpact nicht kennt, sollte das genau jetzt ändern. In kurz: Er misst, welchen Einfluss ein Spieler auf die Tordifferenz seiner Mannschaft hat. Zum Vergleich: Bundesligatauglichkeit fängt bei ungefähr 100 an. 120 sind Champions League. Weltklasse beginnt bei etwa 150. Schwaab 165 sind also ganz schön verrückter Scheiß. (Danke an Jörg Seidel für die Grafik!)

Außerdem ist er bei Squawka der Spieler mit der höchsten Wertung im VfB-Kader, bei Whoscored ist er Zweitbester hinter Daniel Didavi. Diese statistisch unterfütterten Bewertungen sind zwar mit Vorsicht zu genießen, aber basieren, im Gegensatz zu Kicker und Konsorten, auf belastbaren Zahlen. Wenn er bei drei verschiedenen Notenskalen auch noch so extrem weit vorne liegt, dann kann ich mit meiner Einschätzung nicht völlig falsch liegen, denke ich. Daniel Schwaab, Fußballgott. Oder so.

4 Kommentare:

  1. Na, Fußballgott nicht. Er ist kein Schmiedebach oder Stindl. Aber kurios unterschätzt scheint er mir in Stuttgart tatsächlich zu sein. War ziemlich verwundert, als ich neulich mal ein paar extrem negative Kommentare zu ihm gelesen hab.
    Portrait ist auch sehr gut, als nächstes dann bitte Sakai oder Maxim. Bevor sie zu 96 wechseln am besten noch ;)

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    1. Mal schauen. Vielleicht schaff ich ja noch einen oder zwei von den coolen Jungs, bevor die im Sommer womöglich die Biege machen.

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  2. "Aufbauspiel? Nahezu Weltklasse.“ ...
    Ich gehöre zu denen, die Du im Intro beschreibst: Schwaab ist mE sehr fehlerhaft und definitiv kein Führungsspieler.

    In vielem erinnert er mich an Tasci, der auch seine Stärken im Aufbauspiel hatte, der aber wesentlich robuster im Zweikampf war (nicht immer). In der Tat mag es Schwaabs Bewegungsablauf sein, der einerseits Unbeholfenheit, andererseits Arroganz ausstrahlt. Wobei ich gar nicht glaube, dass er arrogant ist, sondern vielmehr unsicher. Das zeigt sich auch in der Kommunikation mit den Fans, denen er mE eher aus dem Weg geht. Aber das soll kein Beurteilungskriterium sein. Einige Tore gehen auf seine Kappe, ich nenne es gerne den „Schwaab-Moment“, wenn er sich umdreht und ganz überrascht feststellt, dass hinter ihm noch ein Gegenspieler ist. Sein defensives Stellungsspiel ist - wenn überhaupt - durchschnittlich und durch seine Persönlichkeit ist er eher nicht der Mann, der andere für sich einnimmt bzw. andere dirigiert. Du schreibst "Sein tolles Gespür für Dynamiken und Räume“, "große strategische Sicherheit“ und "oft so herausragend getimt(e)“ Bälle, dass ich in der Tat an einen Verteidiger von internationalem Format gedacht habe, an Pique ;-) Ich möchte es mal so sagen, Timo Baumgartl macht mir in der IV einen besseren Eindruck, so wie Florian Klein als AV. Für mich wäre kein Platz für Schwaab in der Start11. Wenn er konstant seine Leistung brächte, wäre er aus meiner Sicht Bundesligadurschnitt und damit definitiv ein Start11-Kandidat beim VfB. Leider gehört auch Schwaab neben vielen anderen zu den Spielern, die beim VfB schlechter geworden sind. Das kann man ihm allerdings nur bedingt zum Vorwurf machen. Der Verein muss sich fragen, warum das so ist.
    (sorry, mein Kommentar ist mir in die Frankfurt-Analyse gerutscht ...)

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    1. Ja, ich kann nachvollziehen was du mit "Schwaab-Momenten" meinst. Ich weiß nicht genau, auf welche Eigenschaft man das zurückführen muss, aber ich hab generell so ein bisschen den Eindruck, dass er in unruhigen/ungeordneten Situationen (z.B. wenn jemand zum Flanken ansetzt, oder auch wenn er gepresst wird) dazu neigt, die Übersicht zu verlieren und dann manchmal einen Gegner blöd entwischen lässt. Bin mir dabei aber nicht sicher und finde auch nicht, dass das jetzt in jedem Spiel auftritt. Daher hab ichs rausgelassen; man kann das aber sicher auch als Kritikpunkt nehmen. Grundsätzlich find ich sein Stellungsspiel aber immer noch in Ordnung (mit dem im Text angemerkten Herausrücken als schönes Highlight) und alles in allem wesentlich besser als das von z.B. Rüdiger.
      Generell muss man zu Vergleichen mit anderen Innen- und Rechtsverteidigern sowie der Gesamtbewertung von Schwaab auch noch sagen, dass mit seinem Fähigkeitenmix optimalerweise Halbverteidiger in einer Dreierkette spielen müsste, also eine Position, die es beim VfB nicht gibt. Davon abgesehen ist es aber mit Sicherheit keine Schande, von manchen schlechter gefunden zu werden als Baumgartl. ;)

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