Union startete etwas überraschend und vermutlich als Anpassung auf Stuttgarts Flügelfokus in einem 4-2-3-1, das im Pressing als 4-4-2 und im Aufbau eher als 4-3-3 gespielt wurde. Der VfB blieb beim System vom letzten Spieltag gegen Schalke.
Positionsvorteile auf den Flügeln
Der folgende Rechtsfokus litt aber unter eher improvisierten Strukturen. Manchmal rückte etwa Pavard übertrieben weit auf und verlor den Kontakt nach hinten. Auch Castro hielt nicht immer optimale Abstände. Ebenso war die genaue Aufteilung auf dieser Seite recht wechselhaft, sodass die Situationen im Einzelnen nicht immer stringent ausgespielt wurden. Außerdem fand Union flexible aber konsequente Lösungen gegen die Aufbau-Dreierkette, indem entweder Hartel herausrückte oder (später vor allem) Zulj herüberschob.
Mit ihren ebenfalls aufrückenden Außenverteidiger hatte Union ähnliche Positionsvorteile wie der VfB. Die Außenverteidiger positionierten sich unangenehm zwischen Außenverteidiger und Außenstürmer, während vor allem Hartel in der Schnittstelle zwischen Pavard und Kabak Freiheiten erlangte. Mit nur rund 40% Ballbesitz hatte Union zwar weniger solcher Szenen, spielte sie aber gefährlicher aus, weil der VfB die Flügel weniger gut organisiert verteidigte.
Sebastian Andersson und die langen Bälle
Union hätte das insgesamt nicht überragende Pressing des VfB sogar noch ambitionierter bespielen können. Wie gegen Schalke verteidigte der VfB auf mittlerer Höhe im 4-4-2. Eine der Spitzen lief den ballführenden Innenverteidiger so an, dass bestenfalls Schmiedebach auf der Sechs im Deckungsschatten verschwand und der lange Ball folgte. Dadurch konnten Castro und Gentner den Kontakt zur Abwehr halten und beim Aufsammeln der zweiten Bälle helfen. Der VfB verteidigte in diesem Sinne effizient, aber immer mit dem Risiko, dass Mittelfeld und Sturm den Kontakt zueinander verloren.
Doch auch wenn Union die spielerische Lösung mied und den Ball nach vorne schlug, konnten sie punktuell Gefahr entwickeln. Unions Bewegungen auf den langen Ball wirkten trotz der Umstellung eingespielt. Abdullahi und Hartel starteten immer wieder zu zweit in die Tiefe hinter Zielspieler Andersson. Vor ihm standen Zulj und der weit aufrückende Prömel für Abpraller bereit.
Normalerweise kann Kempf mit seiner Wucht und Sprungkraft viele Stürmer in der Luft kontrollieren, gegen Andersson gelang ihm das aber nicht immer. Andersson löste die Situationen, indem er sich nicht nur als Wandspieler zeigte, sondern auch Läufe in die Tiefe anbot. So konnte er seinen Gegenspieler zwingen, sich nach hinten zu orientieren. Vor sich öffnete er damit Raum, in den Union den langen Ball hineinspielen konnte. Andersson verlängerte diese Bälle dann mit gutem Gespür in die Tiefe. Auch generell bewegte sich der Schwede individualtaktisch clever, sodass er schwer zu greifen war.
Umschaltdynamiken
Für den VfB stellten Konter das gefährlichste Mittel dar. Da die Außenstürmer eher nicht mit Unions Außenverteidigern mitgingen, hatten Akolo und Gonzalez gute Positionen für Konter. Nach langen Bällen von Union konnte sich der VfB zum Beipsiel schnell hinter Abdullahi und Hartel zum Flügel lösen. Auch Gegenkonter waren eine Option, weil Union in den eigenen Umschaltsituationen relativ aggressiv aufrückte, vor allem die Außenverteidiger. In diesen Kontersituationen kam die Dribbelstärke von Spielern wie Donis, Gonzalez und Akolo zur Geltung. Beide Stuttgarter Tore entstanden aus Kontern, wohlgemerkt trotz 60% Ballbesitz!
Umstellungen
Gegen Ende der 1. Halbzeit begann die vorher schon präsente 4-3-3/4-1-4-1-Tendenz in Unions 4-4-2-Pressing mehr zur Geltung zu kommen. Zulj schob teilweise weiter links raus und Hartel verteidigte tiefer gegen Pavard, anstatt rauszurücken. So wurde Union tendenziell etwas stabiler, verlor aber auch an Zugriff auf die erste Aufbaulinie.
Der VfB brachte zur zweiten Halbzeit Gomez für Didavi. Dadurch war der rechte Flügel nicht mehr so überfrachtet und die Abläufe gewannen an Klarheit. Pavard rückte nun konstanter auf, während Akolo einrückte und die Schnittstelle besetzte. Mit überschaubarer Unterstützung kamen aber auch wenig Angriffe zur Grundlinie durch. Vielfach versuchte der VfB eher mit langen Bällen direkt hinter die Abwehr zu kommen. Wenn daraus brenzlige Situationen entstanden, hielt die anstandslose Endverteidigung der Berliner stand.
Was geht im Rückspiel?
Am Ende tat sich der VfB in der Favoritenrolle wie erwartet schwer. Das Ballbesitzspiel war im Ansatz gut, aber auch ziemlich wechselhaft. Für ein besseres Endprodukt fehlt vermutlich die Trainingszeit und die strategische Qualität auf der Sechserposition. Ohne das sonst starke, aber in dieser Konstellation weniger relevante Pressing, bleibt das Umschaltspiel die große Stärke des VfB.
Ob dieses Umschaltspiel im Rückspiel für die benötigten Tore sorgen kann, hängt auch davon ab, mit welcher Strategie Union in das Heimspiel geht. Hoffnung macht aus VfB-Sicht, dass Union den VfB wahrscheinlich in jedem Fall nicht vollständig kontrollieren können wird. Stellen sie sich hinten rein, dürfte der Druck irgendwann zu groß werden. Verlassen sie sich auf ihre Stärken, wie in diesem Spiel, dann, wird es auch wieder Situationen geben, in denen der VfB seine individuelle Überlegenheit in die Waagschale werfen kann.
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