Sonntag, 23. August 2015

Spielanalyse: Hamburger SV - VfB Stuttgart 3:2

Ein typisches VfB-Endphasen-Spiel löst ein inzwischen ebenso typisches VfB-Pressingdominanz-Spiel ab - und mündet in einer knappen Niederlage.

Erste Halbzeit


Startformationen
Für die Partie gegen seinen Ex-Club wählte Bruno Labbadia einen durchaus mutigen Ansatz: Bei Ballbesitz des Gegners traten sie in einem aufrückenden 4-4-2-Mittelfeldpressing auf und versuchten dem VfB damit wenig Zeit für das Anbringen ihrer lange Bälle zu lassen. Gegen das erneut nicht nennenswert organisierte Aufbauspiel der Stuttgarter konnten sie auf diese Weise problemlos Druck machen und kamen sogar zu ein, zwei guten Ballgewinnen. Der Fokus lag aber natürlich klar auf dem Verteidigen der zweiten Bälle.

Das machten sie grundsätzlich etwas geschickter als die Kölner in der Vorwoche: Mit der klaren Doppelsechs vor der Abwehr war Hamburg recht kompakt und schloss konsequent das Zentrum, während gerade die Innenverteidiger Djourou und Spahic gut in die Zweikämpfe kamen und bei gelegentlich weiterem Herausrücken von Jung improvisiert, aber dennoch passend, abgesichert wurden. Ungestörtes Aufrücken durch Freiräume war für den VfB kaum drin.

Offensiv wiederum nutzten die Hanseaten den großgewachsenen Gregoritsch und seltener Schipplock als Zielspieler gegen Insua und Hlousek. Die Offensive staffelte sich dazu recht hoch und orientierte sich an der Stuttgarter Viererkette, was durchaus mit Risiko verbunden war, da es für eine etwas zweigeteilte Formation sorgte, die dem VfB tendenziell das Mittelfeld ein wenig öffnete. Das Ergebnis war entsprechend ambivalent - der HSV kam zwar zu etwas Offensivpräsenz - hauptsächlich Einwürfe und ein paar wenige Flügeldurchbrüche - musste aber auch zusätzliche Kontergefahr hinnehmen. Allerdings profitierten sie hier wiederum von Stuttgarts Hektik in solchen Situationen, die das Konterspiel einige Male zu linear und nicht raumnutzend genug werden ließ.

Insgesamt entwickelte sich auf dieser Basis ein zerfahrenes Match, das sich vor allem zu Beginn in viel Einwurfgewurstel aufhängte, aus dem sich keine Mannschaft so richtig lösen konnte. Allerdings blieb der VfB durch seine starken Individualisten etwas überlegen und verbuchte die gefährlicheren Situationen. So war das 1:0 etwa, bei dem der leicht ungenau positionierte Jung im Sechserraum gepresst werden konnte nicht unverdient.

Ähnlich wie beim Führungstreffer waren es immer wieder mal Details, die nicht wirklich regelmäßig sichtbar wurden, aber trotzdem beiderseits für Chancen sorgten. Hamburgs Tendenz den ballfernen Flügelspieler gegen den Ball etwas breiter und höher zu lassen, nutzte der VfB zum Beispiel einmal gut aus. Der HSV wiederum bespielte beim unerwarteten Ausgleichstreffer das zu geistlose Aufrücken der Viererkette mit einem langen Ball. Insgesamt blieb der VfB mit seinem überlegenen Pressing aber die bessere Mannschaft und lag lange Zeit verdient vorne. Zumindest bis zu Kleins Platzverweis kurz nach der Pause.

HSV knackt Stuttgarter Endverteidigung


Formationen nach der gelb-roten Karte
Zu zehnt bildete der VfB ein 4-4-1, aus dem einer der Sechser - meistens Didavi, später Gentner - situativ neben Ginczek aufrückte. Harnik spielte auf der rechten Seite enger als Kostic und versuchte den vermehrt auf seiner Seite auftauchenden Ekdal mitzuverteidigen. Oft wurde er allerdings, wie auch der linke Flügelspieler, von Hamburgs jetzt weit aufschiebenden Außenverteidigern in die letzte Linie gedrängt. Darüber hinaus konnte der VfB mit nur einer Pressingspitze natürlich weniger Druck im Pressing ausüben und wechselte in ein passiveres Mittelfeldpressing, aus dem sie nur noch in günstigen Situationen zum Angriffspressing aufschoben. Der HSV kam dementsprechend leicht zu Offensivpräsenz.

Und wie das eben seit Jahren so ist, wenn der VfB zu zehnt den Gegner nicht mehr vom Strafraum fernhalten kann, kassiert er natürlich Gegentore und gibt die Führung aus der Hand.

Dazu trägt und trug auch am Samstagabend sicherlich der offensive und chaotische Grundcharakter der Mannschaft bei, der einer disziplinierten und stabilen Schlussphase ein bisschen im Weg stand. Es ist zwar eine gute Idee, auch zu zehnt noch für Entlastung zu sorgen, aber dass man immer noch teilweise riskant mit Abseitsfalle spielt oder Gentner als praktisch einziger verbliebener Sechser auf einmal rechts an der Eckfahne auftaucht, kann man sicher unterschiedlich bewerten.

Im Endeffekt konnte der VfB den Angriffen der Hansestädter jedenfalls nicht stand halten. Das Verschieben und Zurückrücken wurde schwächer und der HSV holte sich nach Verlagerungen zweite Bälle in den Halbräumen und griff über die Flügel an. In der zurückgedrängten Grundposition kamen außerdem die defensivtaktischen Schwächen von Gentner und die traditionell eher durchschnittliche Strafraumverteidigung des VfB zum Tragen. Das 2:2 fiel dann nach einer gut auskombinierten Linksüberladung mit anschließender Verlagerung in den Strafraum, während der HSV das Siegtor nach einem Gegenkonter erzielte, bei dem Djourou gut in den von Olic geöffneten Raum nachstieß und damit entscheidend Überzahl im Strafraum schuf.

Fazit


Die zweite Niederlage in Folge sollte kein Grund zur Aufregung sein. Beide Male gab es zwar genügend Schwachpunkte, die zu benennen sind, aber es wäre auch ganz schön unnormal, wenn es die nicht gäbe. Der VfB konnte trotzdem mit seinem vielleicht nicht unbedingt ansehnlichen und etwas eindimensionalen, aber doch recht effektiven Fußball klar dominieren und seine individuelle Klasse in Szene setzen. Die Probleme, die jeweils in der Schlussphase der letzten Spiele auftraten, müssen aber natürlich angegangen werden, sonst kann es immer wieder mal Ergebnisse wie dieses geben.

1 Kommentar:

  1. Wow, sehr ausführliche und inhaltlich auch korrekte Spielanalyse. Daumen hoch!

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