Montag, 4. Januar 2016

Neuzugang: Artem Kravets

Als Alternative für den offenbar noch länger verletzten Daniel Ginczek holt der VfB Artem Kravets per Leihe von Dynamo Kiew. Bei dem ukrainischen Nationalspieler handelt es sich um einen relativ klassischen, intelligenten Abschlussstürmer, der die gelegentlich vermisste Durchschlagskraft und Strafraumpräsenz zurückbringen soll.

Ökonomisch, kühl, bewegungsstark


Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die Kravets mitbringt, ist sein gutes Bewegungsspiel an der gegnerischen Kette. Üblicherweise hält er vergleichsweise starr das Zentrum und weicht nur leicht auf die Seiten aus, ohne dabei bis auf den Flügel raus zu ziehen. Lediglich bei Kontern oder Einwürfen taucht er auch mal an der Seitenlinie auf, ansonsten sieht man ihn im Dunstkreis der Innenverteidigung oder in einer Schnittstelle lauernd.

In diesem eingeschränkten Rahmen bewegt er sich allerdings stark. Am liebsten setzt er sich ballfern ein bisschen ab und übergibt den ballnahen Halbraum an das offensive Mittelfeld. Den dort laufenden Angriff unterstützt er dann nur selten und gibt auch keine Verbindungen. Stattdessen versucht er sich in die Lücke zwischen dem ballfernen Innen- und Außenverteidiger fallen zu lassen, um dann im richtigen Moment in die Tiefe zu gehen und einen Steilpass zu erhalten, oder als Abnehmer in den Strafraum zu gehen. Im Abschluss ist er dann mit seinen flachen Schüssen ins Eck einigermaßen sicher, zumindest mit seinem stärkeren rechten Fuß.

Für seine Läufe nutzt er gerne und häufig kleine Finten, bei denen er eine bestimmte Lücke anvisiert und dann doch die andere anläuft. Damit kann er viele Verteidiger ein wenig verwirren und findet dann im oder am Sechzehner ein bisschen Raum. Seine Sprints in die Tiefe bringt er dabei sehr dosiert ein. Er ist nicht so aktiv und emsig, wie man es etwa von Timo Werner kennt, sondern deutlich ruhiger und gewählter in seinen Aktionen. Er beschränkt sich auf die Momente, in denen es seinem Verständnis nach hilfreich ist, Aktivität reinzubringen. Die Phasen vordergründiger Teilnahmslosigkeit, die daraus folgen, helfen ihm gefühlt dabei in den richtigen Szenen dann überraschender und effektvoller in Erscheinung treten zu können. So ist er zum Beispiel auch sehr präsent bei Abprallern. Überhaupt sieht man ihn praktisch nie überdrehen oder hektisch umherrennen. Er ist ein überaus rationaler Spieler, der Abschlüsse aus schwierigen Positionen oder aussichtsloses Spekulieren auf einen durchrutschenden Ball ebenso meidet wie das Einlaufen in eh schon vollgepackte Strafräume.

Da er ein unterdurchschnittlich schneller und etwas antrittsschwacher Angreifer ist, nutzt Kravets die umliegende Dynamik des Zurückrückens der gegnerischen Abwehr auch ab und zu, um sich etwas vom Gegner abzusetzen und sich kurz anzubieten. Das Dilemma für den Verteidiger ist dann klar: Rückt er heraus, geht hinter ihm eine Lücke auf, bleibt er tief, wird Kravets frei und hat den Raum, den er benötigt, um mitzuspielen. Die Unordnung, die er damit schafft, könnten Spieler wie Harnik, Werner (oder auch Gentner oder Rupp) mit ihren Vorstößen ausnutzen. Möglicherweise entsteht auf diese Weise wieder ein fruchtbares Zusammenspiel zwischen beweglichem Strafraumstürmer und dynamischem Halbstürmer, so wie einst mit Ibisevic und Harnik. Zwar ist Kravets eher gewohnt, alleiniger Stürmer und Tiefengeber zu sein, aber sein grundsätzliches Profil spricht durchaus dafür, dass er sich hier ein wenig umstellen kann.

Von einem spielstarken Mittelstürmer kann man allerdings dennoch nicht wirklich reden, wenngleich er eigentlich gute Ansätze zeigt. Oft bringt Kravets kurze, sinnvolle Rückfallbewegungen ein, sobald er in Ballnähe gerät und beweist dabei ein gutes Gespür für den Angriffsverlauf, welches ihm auch die eine oder andere überraschend gute Weiterleitung oder kreative Verlagerung erlaubt. Insgesamt sind Qualität und Quanität seines spielerischen Beitrags jedoch eher überschaubar. Seine Ablagen sind technisch überwiegend unsauber, ebenso seine Ballannahmen. Seine (seltenen) Dribblings haben ebenfalls einen etwas ungenauen, wühlenden Touch. Mit Ball bleibt er so meist doch auf simple Kurzpässe und kurzes Ballhalten beschränkt.

Denkbar wäre, dass man sein Fähigkeitenprofil nutzen will, um die sehr einfachen, aber doch effektiven Mechanismen aus der vergangenen Stevens-Rückrunde wiederzubeleben. Kravets wäre ein zuverlässiger Abnehmer für Kostics Flanken, der auch auf dessen flachen Hereingaben auf den kurzen Pfosten gehen könnte, während ein tororientierter Rechtsaußen den langen Pfosten besetzt hält. Ein Fokus auf Didavis Fernschüsse wäre auch möglich mit einem gegnerbindenden Kravets, der auf Abpraller spekuliert, ebenso wie Steilpässe auf Harnik oder Werner in Verbindung mit dem raumöffnenden Fallenlassen des Ukrainers. Im Konterspiel wäre seine fehlende Dynamik kein allzu großes Problem, da ohnehin Kostic, Harnik oder Werner die hauptsächlichen Ziele wären. Kravets bewegt sich in Umschaltsituationen recht balanciert, und dürfte sich als kleines Gegengewicht gut einfügen.

Schema: Mögliche Wiederbelebung der Mechanismen um Kostic und Didavi

Zuletzt muss man allerdings sagen – und das ist neben der Dynamik eine weitere Schwäche im Vergleich zu Ginczek – dass Kravets trotz seiner Körpergröße kein besonders guter Abnehmer für lange Bälle ist. Ihm fehlen sowohl die physische Durchsetzungsfähigkeit als auch die Koordination, um das volle Potential seiner 1,89m auszuschöpfen. In den Luftzweikämpfen wird er von kräftigen Innenverteidigern dominiert und verpasst überdurchschnittlich oft den Ball.

Kravets als Pressingspieler


In seinem Pressingverhalten müsste Kravets noch etwas "geschärft" werden, wenngleich er mit der Stürmerrolle in Kramnys System, angenommen die bleibt im Wesentlichen so, wenig Schwierigkeiten haben dürfte. Bisher waren die beiden Spitzen mehr Unterstützer des Mittelfelds als selbst Initiatoren und vergleichsweise passiv unterwegs. Eine Rolle, die zu Kravets ganz gut passen müsste, da er im Verein gegen den Ball auch oft teilnahmslos bleiben durfte. Wenn es gefordert ist, sieht man von ihm aber doch einzelne, nach außen isolierende Läufe, bei denen er die aus seiner Offensivbewegung bekannten Finten einbringt, aber insgesamt eher gleichförmig ohne Überraschungsmomente oder besondere Intensität anläuft. Er nutzt dabei geschickt seinen Deckungsschatten, um Anspielstationen verschwinden zu lassen und unterstützt so isolierende Konstellationen und belauert Rückpässe.

Besonders gute Momente hat Kravets hin und wieder im Rückwärtspressing, wo er vereinzelt gedankenschnell und verantwortungsbewusst offene Räume füllt. Solche Aktionen bringt er zwar nur sehr dosiert ein, sie veranschaulichen aber das überdurchschnittliche Potential, das er gegen den Ball besitzt und welches über mehr Intensität und Konstanz aktiviert werden muss.

Fazit


Es ist keine besonders aufregende, einflussreiche oder gar wegweisende Verfplichtung, aber dennoch eine, die sehr gut zum VfB zu passen scheint und einige gute Einbindungsmöglichkeiten bietet. Man kann also davon ausgehen, dass Artem Kravets einen soliden Job machen wird. Ob er auch "einschlagen" wird, hängt, wie bei einem Strafraumstürmer nicht anders zu erwarten, hauptsächlich davon ab, was um ihn herum aufgebaut wird.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für dieses ausführliche Porträt. Hätte eher eine Ginzcek-Kopie bevorzugt, aber Hauptsache wir haben jemand, der Präsenz im Strafraum aufweist. Timo wirkt da teilweise etwas unglücklich.

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