Donnerstag, 25. Februar 2016

Vorschau: VfB Stuttgart - Hannover 96

Es wirkt ein bisschen wie David gegen Goliath: Die vielleicht formstärkste Mannschaft der Liga trifft auf das seit acht Spielen punktlose Tabellenschlusslicht Hannover 96. Mit kompetenter Unterstützung vom 96-Taktikblog Niemals Allein wagen wir einen Ausblick auf die Geschehnisse und den Ausgang der Partie.

Wahrscheinliche Abläufe


Seit Thomas Schaaf 96-Trainer ist, zeigt sich 96 im Ballbesitz sehr wechselhaft. Es ist auch wegen der angespannten Personallage nicht sicher vorherzusagen, auf welche Formation Schaaf gegen Stuttgart zurückgreifen wird. In der Raute, die zu Beginn der Rückrunde zu sehen war, hat 96 phasenweise eine starke Zentrumspräsenz gezeigt und konnte einige kurze Dreiecks-Kombinationen anbringen, bei denen auch die Stürmer mit kurzem Ausweichen und Zurückfallen eingebunden werden konnten. Damit zwang Hannover das gegnerische Mittelfeld oft dazu, sich zusammenzuziehen und öffnete so Räume für die aufrückenden Außenverteidiger.

Zentrumspräsenz ist gegen den VfB unter Jürgen Kramny durchaus eine Eigenschaft, die man mitbringen sollte. Zu Beginn spielte er meistens ein tiefes, sehr breites 4-4-1-1 mit wenig horizontalem Verschieben und vielen Mannorientierungen, wodurch in der Mitte oft Freiräume aufgingen. Dagegen waren die Flügel sehr gut gesichert, was für viele Mannschaften ungewohnt und unangenehm zu bespielen war. Auch wenn der VfB immer wieder in diese Phasen zurückfallt, hat sich das mittlerweile ein wenig geändert und das Pressing wird etwas klassischer und enger gespielt, wobei vor allem Rechtsaußen Lukas Rupp viele Räume zuschiebt. Auch die Pressinghöhe hat sich deutlich nach vorn verlagert: Häufig rückt Kapitän Christian Gentner weit mit auf und deckt den tieferen Sechser, während die Stürmer die Innenverteidiger zustellen. Meistens folgt dann der lange Schlag des Torhüters, der wegen des manchmal etwas unbalancierten Aufrückens auch mal gefährlich werden kann. Generell büßte der VfB durch diese neuen Elemente ein wenig von seiner bis dato hohen Grundstabilität ein.

Solche langen Bälle aus der ersten Linie gab es im Spielaufbau bei 96 in den letzten Spielen häufiger zu sehen als zu Beginn der Rückrunde. 96 hält im Aufbau meistens beide Außenverteidiger tief angebunden und versucht mit dem alleinigen Sechser Hoffmann, den Ball ins Mittelfeld zu bringen. Wenn Hannover früher unter Druck gesetzt wird, versucht sich Sané hin und wieder mal an seitlichem Herauskippen, oder Karaman treibt aus einer tieferen Position das Spiel an. Meistens folgt dann kurze Zeit später aber doch der lange Ball, weil 96 in der Innenverteidigung nicht besonders spielstark aufgestellt ist und die Freilaufbewegungen im offensiven Mittelfeld vor allem in den letzten Spielen nicht besonders ausgewogen waren.

Mögliche Startformationen, wenn Hannover
4-2-3-1 spielt.
Oft sah man bei 96 in den Spielen unter Thomas Schaaf beispielsweise lange Bälle auf einen nach links ausweichenden Stürmer, dessen Ablage dann vom einrückenden Flügelspieler oder einem zentralen Mittelfeldspieler aufgesammelt werden sollte. Mit Almeida und Szalai fallen die bisherigen Zielspieler allerdings aus; der wahrscheinliche Ersatz Artur Sobiech ist dafür nicht ideal, aber auch recht gut geeignet. Da Hiroshi Kiyotake wohl wieder in die Startelf zurückkehren wird, käme ihm die Aufgabe zu, im Zentrum die zweiten Bälle einzusammeln. Mit seiner Pressingresistenz und Wendigkeit könnte er sich auch unter Druck und in Unterzahl behaupten, ist Serey Dié körperlich aber wohl nicht nur wegen seiner Formrückstände nicht gewachsen. Die Strategie, auf zweite Bälle im Mittelfeldzentrum zu setzen, ist für 96 gegen den VfB also aus mehreren Gründen nicht besonders vielversprechend, wenn 96 wieder im 4-1-4-1 oder 4-2-3-1 antritt.

Interessanter wären dann vielleicht eher die einrückenden Flügelspieler, die man von 96 zuletzt gegen Augsburg sah. Gentner ist von seinem Gegenspieler meist höher gebunden oder die beiden Sechser stehen horizontal weit auseinander, sodass sich hier Raum für dynamische Dribblings und Kombinationen ergibt. Die Außenverteidiger können die Wege ins Zentrum dann nicht immer mitgehen oder die Zuordnung ist nicht ganz eindeutig.

Doch zwei einrückende Flügelspieler bot Thomas Schaaf gegen Augsburg erstmalig in seiner kurzen Amtszeit bei 96 auf. Sollte es wie in den letzten beiden Spielen bei einer 4-1-4-1-Grundordnung bleiben, wird es wohl höchstens einen zentrumsorientierten Außenspieler im Mittelfeld zu sehen geben. Da Uffe Bech verletzungsbedingt fehlt, ist eine Umstellung von Edgar Prib aus dem Zentrum auf den linken Flügel vorstellbar, sodass der mit seinen diagonalen Dribblings für Stuttgart eigentlich sehr gefährliche Karaman nach rechts weichen müsste. Im 4-1-4-1 war 96 außerdem vor allem gegen Augsburg nicht in der Lage, aus dem eigenen Ballbesitz Torgefahr zu erzeugen. Die Mittelfeldspieler drängten zu schnell in den Angriff vor, waren zu flach gestaffelt und reagierten schlecht aufeinander. Dadurch war 96 schlecht für Konter abgesichert. Mit der Raute, auf die es wegen der Rückkehr Kiyotakes auch hinauslaufen könnte, war es allerdings ähnlich.

Stuttgarter Gefahrenherde


Konteranfälligkeit ist wiederum ein eher problematisches Merkmal, wenn man gegen den VfB bestehen will. Gerade zu Beginn von Kramnys Amtsantritt rollten viele Konter über den weit ausweichenden Tempodribbler Timo Werner und den robusten, flankenstarken Filip Kostic. Mit Rupp und Dié hat der VfB außerdem zwei pressingresistente Spielauslöser, die sich mit kurzen Pässen befreien und zielstrebige Angriffe einleiten können. Generell entwickelten sich die Abläufe zwischen den Offensivspielern zur wahrscheinlich größten Stärke des VfB. Insbesondere halbrechts herrscht enorm viel gruppentaktische Aktivität und es kommt immer wieder zu hochwertigen Kombinationen. Auch Spieler wie Gentner und Didavi wirken geschärft in ihren Aktionen und sind gut in die Abläufe eingebunden.

Um diese Stärke weiter herauszustellen hat Kramny auch das Aufbauspiel des VfB weiterentwickelt und mit Ideen gefüllt. Es ist geprägt durch eine auffallende Ruhe und viele ausweichende Bewegungen des Mittelfelds. Dabei neigen besonders Dié und Gentner, aber auch Didavi, dazu, sich zu unzusammenhängend zu bewegen und Löcher im Zentrum zu hinterlassen. Meist kann diese Schwäche jedoch mit direkten Pässe in die massiv besetzten Offensivräume umgangen werden. Entscheidend dafür sind unter anderem die weiträumigen Aufbaupässe von Daniel Schwaab, sowie Diés Fähigkeiten am Ball. Zuletzt sah man die erste Aufbaulinie, unterstützt durch viele seitlich zurückfallende Bewegungen des Mittelfelds, weit auffächern, sodass den Gegnern der Zugriff erschwert wurde und an der zusätzlichen Absicherung vorbei nur schwer zu klaren Durchbrüchen kamen.

96 sucht aber in den letzten Spielen eher selten den Zugriff in der vordersten Pressingreihe. Vor allem das passive 4-1-4-1 der letzten beiden Spiele war vorrangig auf Kompaktheit gegen den Ball angelegt. Die Flügelspieler stehen dabei in der Regel tiefer, während die beiden Zentralspieler kurze Mannorientierungen übernehmen. Zudem rücken sie leicht auf ballnahe Gegenspieler heraus, sodass die Formation insgesamt einen guten leitenden Effekt auf die Flügel erzeugte. Wie auch schon in den Spielen mit der Raute, in denen 96 im 4-3-1-2 presste und die gegnerischen Flügelspieler von den Halbspielern der Raute angelaufen wurden, rückt Hannover vereinzelt auch mal höher auf und stört früh. Dabei stellt die Schaaf-Elf dann meistens klare Zuordnungen her, und wäre somit anfällig für die zusätzlich zurückfallenden Stuttgarter Mittelfeldspieler. Zudem sind die relativ weiträumigen Pressingläufe im 4-1-4-1 auch schlecht abgestimmt gewesen. Das Pressing war daher sehr unzusammenhängend und konnte relativ leicht ausgespielt werden. Bei der passiven Ausrichtung gegen den Ball trugen kurze 4-4-1-1-Phasen zumindest gegen Dortmund dazu bei, dass 96 ziemlich stabil stehen konnte. Wenn die Flügel aber schnell bespielt werden oder lange Bälle gut gehalten werden können, ist 96 im Zentrum immer wieder unkompakt. Hoffmann als alleiniger Sechser wird dann oft riskant auf die Seite gezwungen; der Raum vor der Abwehr wird leicht bespielbar.

Dieser wiederum war zuletzt die Lieblingsspielwiese des VfB. Wenn der VfB es schafft einen Achter herauszulocken, könnte die entstandene Lücke mit einem scharfen ersten Pass erschlossen werden. Anschließend würden vor allem halbrechts die guten Mechanismen zum Tragen kommen und der VfB könnte gefährliche Angriffe durchs Zentrum entwickeln und vors Tor tragen.

5+1 Thesen zum Spiel


1) Wenn 96 wegen Kiyotakes Rückkehr wieder in der Raute spielen sollte, wird es wichtig sein, diese Überlegenheit im Zentrum vor allem schnell auszunutzen. Die kurzzeitig auftretende luftige Zentrumsbesetzung der Stuttgarter muss zielstrebig bespielt werden, wozu eine Raute theoretisch gute Möglichkeiten bietet.
2) Wenn der VfB überraschenderweise wieder passiver verteidigt, könnten die in ihren Abläufen wenig gefestigten 96er in die offenen Räume des Mittelfelds gelockt und dort vom Rückwärtspressing der Spitzen abgefangen werden. Anschließend würden sich wertvolle Kontermöglichkeiten für den VfB eröffnen.
3) Wenn Didavi-Ersatz Maxim besser in die Abläufe halbrechts integriert wird als zuletzt, könnte das Kombinationsspiel in dieser Zone einen weiteren Schub bekommen. Gleichzeitig dürfte sich Maxims Strukturgefühl positiv auf die Staffelungen im Mittelfeld und die Konterabsicherung auswirken.
4) Wenn 96 im klassischen 4-4-1-1-Mittelfeldpressing auftreten sollte, könnten sie von der etwas konteranfälligen Zweiteilung im VfB-Spielaufbau profitieren. Mit den guten Balleroberern Hoffmann und Schmiedebach im Zentrum und dem pressingresistenten Steilpassspieler Kiyotake davor sind Konter aus tieferen Zonen gut vorstellbar.
5) Wenn die grundsätzlichen Asymmetrien innerhalb der beiden Mannschaften im Spielverlauf eine Rolle spielen, ist Stuttgart im Vorteil. Vor allem Kostic‘ Lauern auf den Konter auf dem linken Flügel und Werners kluges Ausweichen im Umschalten können gegen das ziemlich konteranfällige Hannover mit dem sehr weit aufrückenden Rechtsverteidiger Sakai extrem gefährlich werden.
6) Wenn Schmiedebach als einrückender Rechtsverteidiger spielt, wird Stuttgart zerstört.

96-Schlüsselspieler: Andre Hoffmann


Unter den aus gruppentaktischen Gründen unter seinen Möglichkeiten bleibenden Hannoveranern nimmt Andre Hoffmann in der bisherigen Rückrunde meistens eine Schlüsselrolle ein, weil er als alleiniger Sechser sowohl im 4-1-4-1, als auch in der Raute schon naturgemäß eine ziemlich komplizierte und wichtige Position bekleidet. Er zeigt dabei immer eine grundsätzlich sehr intelligente, nüchterne und zurückhaltende Spielweise. Vor allem in den ersten beiden Spielen konnte er mit sehr starker Antizipation drohende Konter des Gegners unterbinden, wenn 96 im Mittelfeld lokal sehr eng gestaffelt war und viele freie Räume für den Gegenangriff anbot. Auch bei hohen und zweiten Bällen findet Hoffmann in der Regel das richtige Maß zwischen Stabilisierung und Aggressivität. Seine Bewegungen ohne Ball sind meistens sehr intelligent, was vor allem in den Phasen, in denen sich 96 zwischen 4-1-4-1 und 4-4-1-1 umformt, wichtig für die Abdeckung des Zentrums ist. Im Spielaufbau besticht der ehemalige U21-Nationalspieler mit einem sauberen und klaren Passspiel, hält sich mit riskanten Vertikalpässen aber überwiegend zurück. Gleichzeitig drängt er sich aber, ein wenig im Gegensatz zu dem sehr viel stärker bejubelten Salif Sané, auch nicht in eine überpräsente, unpassende Rolle.

Mögliche Anpassungen des VfB


Bislang war nicht immer erkennbar, ob Kramny mit seinen Maßnahmen bewusst auf die Eigenheiten der Gegner reagiert hat, oder ob sie nur Meilensteine in einer sowieso erfolgenden Weiterentwicklung seiner Mannschaft waren. Zuletzt deutete das markante Auffächern des Mittelfelds gegen Schalkes Mannorientierungen aber darauf hin, dass der Gegner in der Spielvorbereitung durchaus eine Rolle spielt. Dementsprechend könnte es wieder ein paar Änderungen geben, um mögliche Ansatzpunkte für Hannover verschwinden zu lassen und ihre Schwächen noch klarer auszunutzen.

Interessant wird zum Beispiel sein, ob Maxim wieder die selbe zwiespältige Rolle wie zuletzt gegen die Hertha einnimmt. Sinnvoll wäre stattdessen zum Beispiel ein Seitentausch mit Gentner, sodass Maxim präsenter in den halbrechten Bereichen neben Hoffmann sein und auf weite Vorstöße des VfB-Kapitäns balanciert ins Zentrum nachschieben kann. Generell fehlt jedoch durch den Ausfall von Didavi ein bisschen Tororientiertheit, sodass Gentner wohl wieder aggressiver aufrücken wird als gegen Schalke. Ob sich hier die richtige Balance einstellt, könnte ein wichtiger Aspekt des Spiels werden; es ist aber wahrscheinlich, dass der VfB so oder so seine Möglichkeiten für Angriffe durchs Zentrum bekommen wird.

Gegen den Ball wäre sowohl eine passivere Herangehensweise als auch konsequent hohes Pressing denkbar. Gegen das stabile, tiefe Mittelfeldpressing hätte Hannover wohl kaum Durchbruchschancen, wohingegen die aktivere Variante mehr Dominanz und Spielkontrolle versprechen würde. Dann wäre darauf zu achten, dass das Zustellen nicht zu plump gerät und Zieler nicht einfach lange Bälle in die offenen Räume neben Serey Dié verteilen kann. In einem kontrolliert ablaufenden Spiel hätte der VfB dann jedoch möglicherweise Vorteile und könnte 96 im Pressing vielleicht sogar zu dem einen oder anderen tiefen Ballverlust zwingen.

Prognose


Ein bisschen Überraschungspotential ist da, aber es bräuchte schon gleichermaßen etwas Glück und die richtigen Umstellungen seitens Schaaf, damit Hannover etwas mitnehmen kann. Wahrscheinlicher ist ein Sieg für den VfB, vielleicht mit einem oder zwei Toren Vorsprung.


PS: Die Vorschau aus 96-Perspektive und mit dem Schlüsselspieler des VfB findet sich hier bei Niemals Allein.

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