Mittwoch, 8. Juni 2016

Neuzugang: Marcin Kamiński

Der VfB hat die Antithese zu sich selbst verpflichtet. Mit Marcin Kaminski kommt ein zurückhaltender Stratege mit gutem Stellungsspiel für die Innenverteidigung.

Aufbauqualitäten


Spielstärke an sich ist in heutigen Zeiten bei Innenverteidigern wahrscheinlich kein ganz so herausragendes Attribut mehr wie noch vor einigen Jahren. Die meisten nachkommenden Jugendspieler verfügen doch über ein recht gutes Passspiel. Den klassischen Holzer im Abwehrzentrum findet man dagegen immer seltener. Selbst wenn man dieser Tatsache Rechnung trägt und den Maßstab ein bisschen hochschraubt, schneidet Kaminski mit seinen spielerischen Fähigkeiten sehr gut ab und sticht in einigen Bereichen sogar deutlich hervor.

Auf den ersten Blick fällt sein Passspiel allerdings gar nicht unbedingt auf. Wenn er Zeit und Raum bekommt, verteilt er die Bälle recht flott und unspektakulär an seine Nebenleute. Dabei behält er eine gute Übersicht und erschließt gedankenschnell offene Räume, ohne Zeit mit unnötigen Ballkontakten zu verschwenden. Seine Pässe wirken dennoch fast ein wenig banal, die Konstanz und Schnelligkeit, mit der er die Bälle in die Räume verteilt und damit die Ballzirkulation anregt, ist in ihrer Wirkung aber keinesfalls zu unterschätzen. Wenn er nicht am Ball ist, dirigiert er viel und weist seine Mitspieler auf gute Optionen hin. Auf diese Weise gibt er seiner Mannschaft im Aufbau ein angenehmes, raumnutzendes Fundament.

Diese Rationalität in seinem Aufbauspiel muss man sogar noch mehr wertschätzen, wenn man sieht, was er am Ball eigentlich so kann. Liberohafte Vorstöße, Lupfer zwischen die Linien und diagonale Verlagerungen hat er allesamt im Repertoire. Vor allem seine langen Bälle sind präzise und gut gewählt. Er spielt sie gern extrem weit und möglichst direkt in den Laufweg eines durchstartenden Offensivspielers, anstatt einen statischen Zielspieler anzubolzen. Das hat gleich mehrere Vorteile, selbst wenn der Pass nicht durchkommt: Der Gegner muss den Ball in der Rückwärtsbewegung verteidigen, was die Chance auf einen unkontrollierten Abpraller erhöht. Gleichzeitig kann sich zwischen der zurückweichenden Abwehr und dem Mittelfeld Raum öffnen, in dem die Mitspieler den Ball aufsammeln können. Passend dazu achtet Kaminski darauf lange Bälle eher in die Nähe von eigenen Überzahlräumen zu schlagen und meidet das Anspielen isolierter Tiefensprints, bei denen die umliegende Kompaktheit fehlt.

Nebenbei besitzt Kaminski auch ein ausgezeichnetes Freilaufverhalten. Während der Ball in den eigenen Reihen läuft, passt er seine Positionierung dynamisch und präzise an. Gerade wenn die Sechser ab- und herauskippen, reagiert er mit ausgleichenden Läufen, die ihn in unterschiedliche Räume in der ersten Linie führen. Dabei findet er sich sowohl in aufgefächerten Stellungen (links wie rechts) als auch in einer weniger präsenten, zentralen Position gut zurecht. Die Art, wie er von sich aus die Aufbaustaffelung balanciert und umwandelt ist für einen Innenverteidiger eher ungewöhnlich und zeigt sein gutes Verständnis für Räume und Strukturen.

Eine extreme Ausweichbewegung, die wegen den ungleichen Abständen zu den Nebenleuten erstmal nicht intuitiv aussieht, aber doch Sinn macht. Effektiv schafft Kaminski doppelt Überzahl. So kann der ZM nach dem Anspiel gefahrlos auf einen der zwei Innenverteidiger ablegen. Der RV könnte aber auch den Rückpass auf den freien Kaminski wählen und sich wiederum freilaufen. Wäre Kaminski nahe der gegnerischen Pressingspitze geblieben, könnte der Gegner mannorientiert Zugriff herstellen.

Defensive Stärken und Schwächen


Beim Verteidigen kommt Kaminski vor allem über sein absicherndes Stellungsspiel. Häufig lässt er sich gegen startende Gegenspieler etwas zurückfallen und versucht dabei die möglichen Passwege in die Tiefe zuzustellen. Er ist dabei nicht perfekt, aber insgesamt gelingt ihm das dank seiner Antizipation sehr gut, gerade wenn er unübersichtliche Kontersituationen verteidigen muss. Auch im Strafraum findet er gute Positionierungen, um Schüsse und Pässe zu blocken. Außerdem scheint er recht schnell zu sein, wenngleich er diese Fähigkeit kaum einzusetzen braucht.

Herausrückende Bewegungen macht Kaminski eher ungern, nutzt sie aber auch gelegentlich. Er sucht sich diese Situationen dann genau aus und achtet darauf, dass er möglichst keinen Gegenspieler im Rücken unbewacht lässt. Den Zweikampf sucht er anschließend nicht um jeden Preis, sondern hält sich etwas zurück und versucht eher den Gegner abzudrängen als unbedingt auf die Balleroberung zu gehen. Seine Tendenz zum absichernden Verteidigen sorgt manchmal dafür, dass er zwischen den Linien keinen Zugriff bekommt, was besonders dann problematisch ist, wenn diese Räume im Anschluss nicht schnell genug aus dem Mittelfeld zugeschoben werden.

Probleme bekommt Kaminski auch dann, wenn er den Ball klären muss oder vermehrt unter Druck gesetzt wird. Seine Klärungsaktionen sind etwas ungelenk und landen nicht immer beim Mitspieler oder in sicheren Bereichen. Außerdem klärt er unter Druck keineswegs so elegant, wie man es angesichts seiner Spielstärke vielleicht erwarten würde, sondern bolzt die Kugel recht kompromisslos nach vorn. Gerade wenn er dafür seinen schwächeren rechten Fuß einsetzen muss, ist der Ball anschließend meist weg. Außerdem ist er trotz seiner Größe ein relativ schwacher Kopfballspieler. Ihm fehlt ein bisschen das Timing und die richtige Koordination, um richtig Druck hinter die Kugel zu bekommen, sodass ihm auch mal eine Flanke über den Scheitel rutscht oder ein abgewehrter Ball beim Gegner landet.

Rolle beim VfB: Viele Fragezeichen


Als Taktikliebhaber freut man sich natürlich über taktisch begabte Spieler im eigenen Verein, aber die letzten Jahre über hat der VfB es eigentlich durchgehend geschafft seine Strategen und Strukturgeber schlecht aussehen zu lassen. Egal ob man jetzt Maxim, Romeu oder jüngst Barba als Beispiel anführt, im Endeffekt waren es doch immer die Individualisten und Chaoten, die die Spielweise des VfB bestimmt haben. Was jetzt nicht gerade eine Erfolgsstory war, möcht ich meinen.

In dem Sinne kommen bei mir einige Bedenken auf. Da der VfB Stand jetzt eher aufbauschwache bzw. unstrategische Sechser hat, würde Kaminskis Passspiel wenig Wirkung entfachen und ihn eher auf einen Zuarbeiter für vergleichsweise schlechte Aufbauspieler reduzieren. Hier müsste entweder eine Mentalität zu mehr Ballzirkulation etabliert werden (gute Sechser aufstellen würde auch gehen) oder Kaminski müsste seine Spielweise etwas umstellen und vertikaler spielen. Zumindest mit seinem vermutlichen Partner Baumgartl dürfte er sich im Ballbesitzspiel aber gut ergänzen, wobei sich die zwei fast wieder ein bisschen zu ähnlich sind. Mal schauen.

Weiteres potentielles Problemfeld: Weder sehr mannorientierte Rollen noch viel Herausrücken in offene Räume liegen ihm besonders. Letzteres war beim VfB in der Vergangenheit oft nötig, weil der Sechserraum schlecht gesichert war. Dass er hier ein ums andere Mal ausbügelt, kann man definitiv nicht erwarten. Mannorientierungen klingen derweil sehr nach Luhukay, für Kaminski wäre das aber unpassend, weil er nicht unbedingt den klassischen Zweikampf sucht. Möglicherweise könnte man ihm aber eine liberohafte Rolle neben einem aggressiveren Partner zuweisen und ihn so von Manndeckungsaufgaben etwas befreien. Vielleicht macht Luhukay aber auch was ganz anderes. Wegen seiner offenbar nicht ganz unbedeutenden Beteiligung an der gesamten Kaderplanung, kann man zumindest davon ausgehen, dass Luhukay einen Plan hat, was er mit Kaminski anstellen will. Hoffe ich.

Zusammenfassung


Stärken: Spielaufbau, Entscheidungsstärke, defensives Stellungsspiel
Schwächen: Kopfballspiel, „Geschicklichkeit“
Stil: zurückhaltend, voraussschauend, sauber
Prognose: Passt intuitiv nicht so richtig zum VfB, könnte aber genau deswegen interessant oder gar wegweisend werden. Mal schauen, was Luhukay mit ihm vorhat.


PS: Wer sich eine Zweitmeinung holen will, der sei an dieses lesenswerte Interview mit einem polnischen Journalisten über Kaminski verwiesen.

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