Dienstag, 3. Oktober 2017

Wolfs Systemumstellung gegen Frankfurt

Im Spiel gegen die Eintracht konnte der VfB im 3-4-2-1 gegen einen durchaus anfälligen Gegner lange nicht genügend Durchschlagskraft erzeugen, zeigte aber in der Schlussphase ein riskantes und phasenweise sehr wirkungsvolles Alternativsystem.

Stunde vorbei, 0:1 hinten, der Ball geht raus zum Eckball für Stuttgart. Wolf wechselt ungewohnt offensiv, bringt Brekalo und Terodde für Beck und Ascacibar. Terodde verwertet die Ecke unmittellbar zum 1:1. Es folgen spektakuläre 30 Minuten mit einem Platzverweis für Frankfurt, Chancen auf beiden Seiten und einem etwas glücklichen Siegtreffer für die Eintracht. Dass der bis dahin eher ausgeglichene Spielrhythmus ohne viele Highlights so kippte, war vor allem dieser Umstellung Wolfs zuzuschreiben.

Risikopressing im 5-1-Raute


Zunächst einmal mögen die puren Wechsel (also offensiver Flügelspieler und Stürmer für Sechser und Außenverteidiger) ein bisschen nach panischer Brechstange aussehen. Sie waren aber Ausgangspunkt eines durchdachten, planvollen Systemwechsels, insbesondere das Ballbesitzspiel betreffend. Durch das prompte Ausgleichstor konnte Frankfurt allerdings nicht mehr nur hinten drin stehen. Sie versuchten also weiterhin Offensivpräsenz aufzubauen - selbst in Unterzahl später.

Dadurch rückte auch Stuttgarts Pressing nach der Umstellung in den Fokus, womöglich ein wenig stärker als erhofft. Dieses stellte sich als eine Art 5-1-Raute dar (wobei die Raute ein bisschen nach links gekippt war, Donis tiefer als Terodde). Gegen Frankfurts 3-1-Aufbaustaffelung presste die "Stürmerraute" Mann-gegen-Mann und machte so früh Druck. Dahinter stand Pavard allein im Mittelfeld vor der Fünferkette. In tieferen Pressingphasen stellte Akolo losen Kontakt nach hinten her, meist waren die sechs Defensiven jedoch auf sich allein gestellt, wenn Frankfurt nach vorne kam.

Vor dem Platzverweis griff Frankfurt in einem 3-1-4-2 an. Weil die beiden Stürmer Stuttgarts drei Innenverteidiger banden, bekamen die Achter links und rechts neben Pavard große Freiräume und Frankfurt konnte sich mit langen Bällen leicht kontrolliert lösen. Die Folgeangriffe spielten sie aber nicht ordentlich zu Ende - und rannten aus diesem Grund keine drei Minuten nach dem Ausgleich in den Konter, der Falettes rote Karte (und beinahe einen Elfmeter) zur Folge hatte.

Die extremste Pressingszene des Spiels, da Pavard gegen Abrahams Andribbeln unterstützt. Im Mittelfeld bleibt niemand übrig, der nach dem langen Ball Druck auf Gacinovic und Boateng machen kann...

... Gacinovic wählt jedoch den vorschnellen Ball in die Tiefe auf Rebic, welcher von Kaminski abgefangen wird. Der spielt anschließend den schwierigen Ball an drei Frankfurtern vorbei in die im Vorfeld aufgegangene und vom VfB belagerte Schnittstelle. Der VfB ist frei durch, Falette zieht nach Ginczeks Pass auf Terodde die Notbremse.

3-2-1-4 in Ballbesitz


Mit diesem "Game state" (gibt es einen etablierten Begriff, der nicht nur Spielstand, sondern auch Unter-/Überzahlverhältnisse erfasst?) schlüpfte der VfB rasch wieder in die Rolle des dominanten Teams. Dieser Rolle wurde er mal mehr mal weniger gerecht. Im eigenen Ballbesitz hatte der VfB bis kurz vor Schluss aber sehr dominante und torgefährliche Phasen.

Konstellation bei Ballbesitz VfB

Der VfB gestaltete sein Ballbesitzspiel in einer klar definiterten 3-2-1-4-artigen Positionsstruktur, die insbesondere die Flügel öffnen sollte und eine massive Strafraumbesetzung bei trotzdem stabiler Absicherung ermöglichte. Aogo rückte als zusätzlicher Sechser neben Pavard ein, sodass ein gut verbundener 3-2-Block entstand (vereinzelt noch ergänzt durch Akolo), in dem der VfB den Ball gut laufen ließ. Frankfurts Achter machten erst auf die Sechser Druck, also waren Baumgartl und Kaminski frei und konnten als sichere Stationen gesucht werden.

Die ganze Struktur war zudem stark asymmetrisch. Links spielte Kaminski breiter und hatte deutlich mehr Raum vor sich als Baumgartl, in den er mit Ball auch konsequent hineinstieß. Teilweise ging er sogar bis auf die Außenstürmer-Position nach vorne. Akolo spielte seine übliche, Ungleichgewicht schaffende halbrechte Rolle, während Isolationsdribbler Donis links sehr breit und mit deutlich weniger Unterstützung agierte - vergleichbar mit der Asymmetrie, die man schon beim 3-3-1-3/3-Raute-3 gegen Wolfsburg gesehen hat. In der Spätphase von Angriffen gingen er und Akolo schnell in den Strafraum und stellten bei den Flanken gemeinsam mit Terodde und Ginczek Frankfurts Endverteidigung auf die Probe. Die beiden Stürmer orientierten sich ansonsten eng aneinander, versuchten zu kreuzen und Läufe in die Tiefe anzubieten. Terodde war hier etwas präsenter und klinkte sich ein paar Mal in die Abläufe auf rechts ein.

In den ersten Minuten nach dem Platzverweis ergab sich aus Frankfurts organisatorischer Reaktion eine klare Route, mit der Stuttgart Torgefahr erzeugen konnte. Tawatha rückte für Falette auf die linke Halbverteidiger-Position und der eigentliche offensive Flügelspieler Rebic spielte einen behelfsmäßigen Flügelverteidiger, rückte aber nicht immer in die Kette mit ein. Dadurch tendierte Frankfurts 5-3-1 zu einem 4-4-1 mit einer relativ zur Verteidigung nach links versetzten Mittelfeldreihe. In dieser Anordnung wurde Frankfurts Abwehr ganz einfach von den fünf Angreifern überladen: Brekalo fand problemlos Raum hinter Rebic und konnte über den zahlreich und sauber besetzten rechten Halbraum angebunden und in Szene gesetzt werden. Folglich musste Tawatha rausschieben und in der Box verteidigten drei Frankfurter gegen drei bis vier Stuttgarter.

Bevor Schlimmeres passieren konnte, schloss Kovac aber seinen linken Flügel, indem er mit Willems einen passenderen Spielertypen für Rebic brachte. Dadurch wurde die Situation für den VfB schon schwieriger. Die überladene rechte Seite bot zwar theoretisch eine gute Ausgangsstruktur, um mit kleinräumigeren Angriffen den Gegner zu destabilisieren, aber so richtig klappen wollte das gegen das solide Frankfurter 5-3-1 nicht. Gruppentaktisch wurde diese Seite etwas zu fad ausgefüllt, obwohl durchaus Mechanismen da waren und Pavard vielseitig ankurbelte. Rechtsfuß Brekalo war etwas an die Seitenlinie gefesselt und kam nicht so dynamisch in seine diagonalen Dribblings wie auf links. Daher konnte auch Akolo nicht mit ihm kreuzen. Zudem löste der VfB das Spiel etwas zu frühzeitig von der rechten Seite, sodass sich komplexere Abläufe gar nicht erst entwickelten und die von Pavard angestoßenen Rochaden nur unverbindlich Unordnung stiften konnten.

Typische Rautenbildung auf rechts. Mehr als ein Raumöffnen für Terodde macht der VfB hier nicht daraus.

Die Gegenpressingbereitschaft der Offensivspieler war derweil auf hohem Niveau. Da zehn Frankfurter nach Ballgewinn gegen den 3-2-Block keine direkten Möglichkeiten zum Durchbruch hatten, konnte die intensiv zurücklaufende Angriffsreihe den Raum im Mittelfeld schnell auffressen. So wurde der VfB im Anschluss an die Positionsangriffe kein einziges Mal ausgekontert (nach Standards wiederum schon, so entstand auch Frankfurts größte Chance in dieser Phase).

Wie Frankfurt dagegenhielt


Und doch: Frankfurt fand schließlich Mittel, um nach vorne zu kommen. Sie konzentrierten sich nun stark auf die linke Seite und schickten Willems mit langen Bällen in Kopfballduelle mit Brekalo (manchmal gingen die Bälle auch zu Haller, der ein wenig auf diese Seite rückte). Willems konnte diese Bälle konstant festmachen und wurde in der Folge gut unterstützt. Insbesondere Tawatha - wohlgemerkt Halbverteidiger! - rückte weit mit auf, bot eine breite Option wenn Willems diagonal startete oder vorderlief den Niederländer. Mithilfe von Haller als Wandspieler oder Gacinovic als Raumöffner konnte die Eintracht gar nicht mal ungefährliche Diagonalangriffe fahren. So kam Frankfurt zu Ecken und blieb torgefährlich. Der VfB zeigte sich in der Zone um Willems herum besonders anfällig, da Brekalo naturgemäß in den direkten Duellen unterlegen war und Baumgartl beim Herausrücken nicht sauber absicherte.

Als Reaktion auf diese Instabilität brachte Wolf in der 81. Minute Ofori für Akolo und stellte im Pressing die alte 5-2-2-1-Ordnung wieder her. Stabiler wurde der VfB aber nicht, weil ein paar andere Effekte diese Umstellung negierten. Zunächst mal erwischte Ofori natürlich keinen guten Tag und machte viele Fehler. Allerdings beging die gesamte Mannschaft in dieser Phase zu viele unnötige Fouls, bekam Situationen trotz lokaler Überzahl nicht sauber verteidigt. Selbst Freistöße tief in der eigenen Hälfte spielten Frankfurt in die Karten, weil sie diese Bälle viel leichter auf den linken Flügel schlagen konnten, als aus dem laufenden Spielaufbau heraus, wenn die Spieler dauernd angelaufen wurden.

Gleichzeitig wurde das Ballbesitzspiel nach diesem Wechsel nicht mehr so straff durchgezogen und die Positionsstruktur aufgeweicht, obwohl der VfB nach dem Wechsel gar nicht mal defensiver spielte: Aogo rückte nicht mehr ein, sondern schob eher in die Breite, dafür ging Donis frühzeitig in den Sechzehner. Ofori und Pavard spielten höher. Die Zirkulationszeiten wurden kürzer. Die Bälle flogen früher aus dem Halbfeld in den Strafraum. Zudem verbaselten Ofori und Kaminski in der Endphase jeweils einen Angriff mit einem Fehlpass ohne Druck. So schwand auch mehr und mehr die Stuttgarter Dominanz.

Schwierige Bewertung


Wie bewertet man also diese ganze Umstellung? Das ist knifflig, nicht zuletzt weil die geschilderte taktische Konstellation der beiden Teams zu dem Zeitpunkt als Wolf die Umstellung tätigte, so überhaupt nicht absehbar war. Anstelle des Platzverweises für Falette hätte Frankfurt auch die Freiräume des 5-1-3-1 zum Führungstreffer verwerten können. Hätte Gacinovic vor dem Konter eine andere Entscheidung getroffen oder Kaminski den Ball nicht perfekt in die Schnittstelle gebracht, wer weiß wie das Spiel dann 11 gegen 11 gelaufen wäre. Bei so einer instabilen Gemengelage entscheiden oft Kleinigkeiten. Dass dann auch noch ausgerechnet der linke Halbverteidiger Rot sah und dadurch aus VfB-Sicht der überladene rechte Flügel geöffnet wurde, machte das anfängliche Glück des VfB perfekt.

Umgekehrt war Frankfurts Konzentration auf den linken Flügel schon eine wirkungsvolle Reaktion von Kovac und auch der Mannschaft. Es ist kaum vorstellbar, dass Tawatha die Anweisung hatte, als Halbverteidiger wie ein offensiver Außenverteidiger aufzutreten.* Er spielte einfach so, wie er es gewohnt ist. Ohne dessen Aufrücken hätte der VfB diese Szenen womöglich trotz der Brekalo-Problematik stabiler verteidigt bekommen. Mit einer individual- und gruppentaktisch griffigeren und saubereren Verteidigung hätte der VfB sogar in die Räume hinter Tawatha reinkontern können und wir würden uns heute vielleicht darüber unterhalten, wie Frankfurt in Unterzahl nur so viel Personal nach vorne werfen konnte. Kleinigkeit halt.

Was man in Hinblick auf die Zukunft festhalten kann ist, dass das 3-2-1-4 keine Probleme in der Absicherung hatte, und bei gutem Gegenpressing auch einem Gegner in Gleichzahl standhalten müsste. Lediglich das geordnete Pressing ist für den "Normalbetrieb" wohl zu riskant. Mit einem Zurückfallen des rechtsseitigen Zehners und einer etwas tieferen Ausrichtung der gesamten Offensive könnte man aus dem 5-1-Raute/5-1-3-1 aber prinzipiell auch das gewohnte 5-2-2-1 herstellen.

Im Spiel nach vorne stellt dieses System eine Positionsordnung, die gar nicht so weit weg ist von dem was man schon vom VfB gesehen hat. Legt man das aktuelle 3-4-2-1-Standardsystem daneben, wird der linke Zehner lediglich durch eine zweite Neun ersetzt und die Flügelverteidiger spielen höher. Im Vergleich zum 3-Raute-3 gegen Wolfsburg spielt ein weiterer Stürmer statt eines Sechsers. Auch das 4-2-3-1 mit Insua als einrückendem Linksverteidiger und das 4-1-0-4-1 aus dem Frühjahr waren ähnlich aufgebaut. Mit diesen Anpassungen kann Wolf die Struktur verändern, ohne die Mannschaft aus ihrer gewohnten Organisation zu reißen. Die nahtlosen Umstellungen, die damit während des Spiels möglich sein sollten (wie auch in dieser Partie angedeutet), sind erst einmal eine spannende Sache und könnten den VfB in Zukunft sehr variabel machen.

Die verschiedenen Systemvariationen machen aber nicht nur die Mannschaft flexibler, sondern gehen auch einher mit präziser auf die Spieler zugeschnittenen Rollen. Zum Beispiel war Aogo als Pendler zwischen Sechs und Flügelverteidiger gut aufgehoben, Kaminski konnte in einer Linksverteidiger-haften Rolle seine Schnelligkeit und seine Vorstöße mit Ball einbringen und Terodde fand halbrechts seine Ausweichräume. Ginczek wirkte hingegen als reiner Stürmer ohne großartiges Zurückfallen fast ein wenig vergeudet. Interessant wäre ja, ihn mal in der Akolo-Rolle einzusetzen mit vielen Verbindungen um sich, von wo aus er kreative Bälle in die Spitze verteilen könnte. Insgesamt kommt aber gerade sein hervorragendes Direktspiel in der gruppentaktisch etwas trägen Umgebung noch nicht so gut zur Geltung.

Mal schauen, was sich aus Wolfs Systemexperimenten noch so ergibt. Und hoffen wir, dass der Verlauf der Schlussphase nicht zu einem allzu großen Rückzug zur Stabilität führt.

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* Interessante Randnotiz: Die aus VfB-Sicht rechte Seite war in der zweiten Halbzeit von den Trainerbänken abgewandt. Dadurch war es natürlich schwer für Kovac und Wolf dort zu coachen. Was wohl passiert wäre, wenn die Seitenwahl anders gelaufen wäre und die Trainer den spielentscheidenden Feldbereich direkt vor sich gehabt hätten?

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