Dienstag, 15. April 2014

Teamportrait: Aalborg BK 2013/14

Sieben Spieltage vor Schluss zeichnet sich in der dänischen Superliga eine kleine Vorentscheidung im Meisterschaftskampf ab: Mit zwei Siegen gegen den direkten Konkurrenten Midtjylland übernahm der Aalborg Boldklub im Laufe der letzten Wochen die Tabellenführung. Die Nordjütländer sind damit nicht nur an der Spitze des dänischen Fußballs angekommen, sondern haben sich in den letzten Jahren und Monaten unter Trainer Kent Nielsen auch aus taktischer Sicht zu einer der innovativsten Mannschaften Europas entwickelt.

Grundstruktur


Die Grundformation der Rot-Weißen, eine 4-4-2-Formation, mutet zunächst eher klassisch an: Zwei robuste Stürmer werden von dribbelstarken Außenspielern flankiert, während aus den hinteren Positionen ein zentraler Mittelfeldspieler und die Außenverteidiger unterstützend nachrücken, und von den drei übrigen Spielern abgesichert werden. Tatsächlich versteckt sich dahinter ein geniales Konstrukt, das nicht nur erfolgreichen sondern auch spektakulären Offensivfußball hervorbringt.

Das entscheidende Element ihres Spiels, das sich durch sämtliche Mannschaftsteile zieht, ist ihr extremer Zentrumsfokus, der durch ein sehr aggressives, aber auch stets bedachtes Schnittstellenspiel bedient wird. Ihr Stil ist entsprechend nach vorne gerichtet und von hoher Aufmerksamkeit geprägt. Der Spielvortrag erfolgt zunächst aus einer sicheren, tiefen Ballzirkulation heraus. Zwar verloren sie im Winter den weitgehenden Stammspieler Lasse Nielsen an den Niederländischen Verein NEC Nijmegen, haben aber dennoch mit Kenneth Petersen und dem jungen Rasmus Thelander zwei spielstarke Innenerteidiger aufzubieten. Letzterer ist der aggressivere der beiden und überzeugt mit gutem Passspiel, während Petersen etwas besonnener und strategisch noch einen Tick stärker einzuschätzen ist. Die Außenverteidiger haben nachstoßende Rollen und halten sich zunächst tief oder auf mittlerer Höhe und beteiligen sich am Aufbauspiel, bis der Ball im Mittelfeld angekommen ist. Der etwas unkonstante Ahlmann ist dabei noch etwas mehr in tiefen Zonen eingebunden und zeigt dabei bisweilen ein gutes Zusammenspiel mit Nicolaj Thomsen, während auf der anderen Seite der durchschlagskräftige Ex-Stürmer Dalsgaard vom flexibleren Kristensen verdrängt wurde. Unterstützt werden die Aufbaubemühungen vom umsichtigen Sechser Rasmus Würtz, der ein unspektakuläres, aber solides Gesamtpaket mitbringt.

Typische Startformation
Die interessantesten und für den Spielvortrag ins Mittelfeld wichtigsten Akteure, sind allerdings die Flügelspieler, welche offensiv in die Halbräume einschieben. Vor dieser Saison war es meist nur Kasper Kusk, der eine solche einrückende Rolle inne hatte. Auf der linken Seite spielten Anders Due oder der gelernten Achter Thomsen eher breit und diagonal. Die Entwicklung von letzterem sorgte jedoch dafür, dass Nielsen den finalen Schritt machen konnte: Aus einem ganz netten asymmetrischen 4-4-2 wurde ein symmetrisches Kunstwerk, und aus Platz 5 wurde Platz 1.

Bei eigenem Ballbesitz rücken Thomsen und Kusk unmittelbar in die Halbräume ein und Risgård schiebt meist nach vorne, woraus sich die AaB-typische Rautenstruktur im engen 4-1-3-2 ergibt. Bilden sich zunächst keine Freiräume hinter dem Mittelfeld des Gegners, fällt der ballnahe Flügelspieler kurz zurück und versucht damit, den Gegner aus dem Mittelfeld herauszulocken. Anspiele werden meist direkt zurück in die erste Aufbaureihe prallen gelassen, um sofort wieder einen Spieler mit nach vorne gerichtetem Sichtfeld und guten Winkeln ins Mittelfeld am Ball zu haben. Im Idealfall öffnet der Gegner von sich aus, indem er beispielsweise aus dem Mittelfeldpressing aufzurücken versucht, oder durch solche auflockernden Aktionen Aalborgs, Lücken im Mittelfeld, die dann bedient werden können.

Wenn die Flügelspieler dort den Ball erhalten,setzen sie im Idealfall zu einem raumgreifenden Dribbling durch den Halbraum an, wobei Kusk ein wenig aggressiver und risikoreicher vorgeht als Thomsen. Wenn sie am Strafraum angekommen sind, versuchen sie entweder, die Stürmer mit Steilpässen zu bedienen oder in Kombinationen einzubinden, oder nehmen alternativ die nachrückenden Außenverteidiger mit, die dann den Angriff mit Zuspielen in die Schnittstelle zwischen Außen- und Innenverteidiger, Anspielen in den Rückraum, oder Flanken in den durch die Rückwärtsbewegung des Gegners äußerst dynamisch besetzten Sechzehner, den Angriff vollenden sollen. Dabei nutzen sie auch flache Hereingaben und haben immer ein Auge für den freien Mann in oder vor dem Strafraum. Wenn ein direktes Aufrücken nicht möglich ist, nutzen sie ihre herausragend gut verbundene Formation und entwickeln das Spiel aus dem Halbraum aus weiter. Durch die dichte und extrem diagonal vernetzte Struktur kann der jeweilige AaB-Spieler von hier aus quasi in jeder Richtung einen sich anbietenden Mitspieler finden und das Spiel häufig einfach unmittelbar in einen anderen Freiraum verlagern.

Blocker im Sturm und der Schattenspielmacher


In der vordersten Reihe setzen die Dänen meist auf ein klassisches Sturmduo. Der Wolfsburger Leihspieler Rasmus Jönsson ist dabei der individuell wohl stärkste Angreifer im Kader und hat sich mit seiner ausweichenden und dribbelnden Spielweise zu einer guten Ergänzung entwickelt. Der verbleibende Platz in vorderster Front wird meist vom leicht ausweichenden, unkonstant spielstarken Anders Jacobsen, alternativ von einem der beiden sehr physischen Frederiksen oder Spalvis eingenommen.

Ihre Hauptaufgabe besteht darin, das Sturmzentrum konstant zu besetzen und damit die Verteidigungsreihe des Gegners am Aufrücken zu hindern, sowie den Raum vor der Abwehr mit Tiefensprints weiter zu öffnen. In der Aufrückphase sorgen sie damit dafür, dass der Gegner an den eigenen Strafraum gedrückt wird und die Kollegen im Idealfall direkt bis an den Strafraum durchdribbeln können. Ist das nicht der Fall, bieten sie sich als Anspielstation an, spielen kurze Ablagen, direkte Kombinationen, oder kontrollieren den Ball und verlagern auf den nachrückenden Außenverteidiger. Bei Kontern weichen sie meist etwas weiter aus als in Ballbesitzangriffen, um das Fehlen der Außenverteidiger zu kompensieren, oder nach weiten Zuspielen den Ball zu sichern und diagonale Passwege zurück in die Mitte zu bekommen.

Durch diesen Zentrumsfokus im Angriff fehlen ihnen zwar häufig die klaren Durchbrüche, da es kaum diagonale Bewegungen von außen nach innen gibt, die sie mit Steilpässen bedienen könnten, AaB kompensiert das allerdings, indem sie die Dynamik ihres Aufrückens und der gegnerischen Rückwärtsbewegung für sich zu nutzen wissen.

Nach einem Einwurf in hoher Position: Risgård zieht Bröndbys Sechser in den
Strafraum. Thomsen ist dadurch frei und wird mit einem präzisen Pass durch
die enge Schnittstelle bedient. Er fädelt den Ball durch zu Spalvis, der zunächst
am Torwart scheitert. Jönsson verwandelt den Abpraller.
Komplettiert wird die Offensivformation vom wesentlich offensiveren der beiden Sechser Kasper Risgård. Wie bereits angesprochen rückt er aus seiner Defensivrolle als Sechser im 4-4-2 in den Zehnerraum auf und lässt damit ein 4-1-3-2 in der Offensive entstehen. Von dort aus wirkt der 31-Jährige auf unauffällige Art und Weise äußerst vielseitig, intelligent und effektiv. Ein wesentlicher Aspekt seines Spiels ist sein fleißiges Raumöffnen. So liefert er nicht nur die kurzen zurückfallenden Bewegungen, die auch seine Kollegen anbringen, sondern zieht bei fortlaufendem Angriffsvortrag auch in sehr hohe Bereiche. Wenn der Ball gerade auf der Außenbahn ist, steuert er beispielsweise gern die Schnittstelle zwischen Außen- und Innenverteidiger an und macht sich damit entweder selbst anspielbar, oder muss von einen zentralen Mittelfeldspieler aufwendig verfolgt werden. Auch direkte Läufe in den Strafraum, um dort präsent zu sein und den Rückraum zu öffnen sind bei ihm keine Seltenheit. Bei kleinräumigeren Bewegungen in etwas statischeren Situationen ist er ebenfalls hervorragend und kann mit seinem guten Timing immer wieder Räume für seine Mitspieler aufziehen und damit die Angriffsbemühungen seines Teams unauffällig anleiten.

Mentale Aspekte


In dieser Situation würde man einen langen Ball auf die rechte Seite erwarten.
Aalborg entscheidet sich jedoch für die Kurzpassstafette durch Zentrum...
Entscheidend und beeindruckend an Aalborgs Offensivausrichtung ist, dass sie wunderbar funktioniert und immer wieder für herausgespielte Tore sorgt. Aus ihrem Fokus ziehen sie in den meisten Spielen sehr viel Durchschlagskraft und sind über ein gesamtes Spiel hinweg kaum auszuschalten. Auch die Verteidigung wirkt in dieser bestens abgestimmten Umgebung unheimlich pressingresistent - jeder Spieler weiß genau, dass sich in den Schnittstellen gleich der Mittelfeldspieler anbieten wird und so können sie frühzeitig den Pass spielen, wo andere Spieler erst noch zum Suchen und Überlegen verdammt sind. Der Entscheidungsprozess wird dank ihrer bestens verbundenen und abgestimmten Struktur bis auf ein Minimum verkürzt und verschafft Aalborg einen entscheidenden Vorteil.

... und erzeugt damit eine wesentlich dynamischere Situation. AaB war hier
übrigens wegen einer Verletzung kurz in Unterzahl.
Die konstante Durchschlagskraft und der Erfolg, der ihnen ihr System verschafft, fördert außerdem das Vertrauen der Spieler in dieses und dürfte auf die konstante und präzise Umsetzung zurückkoppeln.

Aalborgs Defensive und ihre Schwächen


Im Defensivspiel ist Aalborg nicht so stark wie in der Offensive, sie bringen aber grundsätzlich eine ordentliche Stabilität aufs Parkett. Am häufigsten sieht man das positionsorientierte 4-4-2-Mittelfeldpressing mit optionsorientierten Elementen. Diese äußern sich beispielsweise in der Bewegung der Sechser, die recht aktiv auf gegnerische Staffelungen reagieren und so zum Beispiel zu zweit in den ballnahen Halbraum rücken, um dort eine gegnerische Kompaktheit auszutarieren; im Idealfall soll damit der Druck erhöht und die ballferne Zone abgetötet werden. Grundsätzlich nutzen die Schützlinge von Kent Nielsen auch sehr aktiv ihren Deckungsschatten, zum Beispiel timen die Offensivspieler ihr Zurückrücken häufig so, dass sie den aufrückenden Außenverteidiger dynamisch vom Spielgeschehen abschneiden können. Teilweise geht diese Spielweise sogar so weit, dass Spieler, die wenige Meter vom ballführenden Gegner entfernt sind, lieber einen aufrückenden Gegenspieler versuchen zu isolieren, anstatt in den Zweikampf zu gehen. Ab und an führt das zu Problemen in der letztendlichen Stabilität, zumal sie auch über die Flügel oft ein bisschen drucklos verteidigen und den Gegner somit zu Flanken kommen lassen. Auch die Zwischenräume werden durch diese gerade in letzter Linie etwas zurückhaltende Spielweise mitunter anfällig, auch weil die Flügelspieler manchmal ballfern nicht sauber hinterherschieben und somit den dortigen Halbraum offen lassen. Mit Brøndby IF gelang es im Februar zum Beispiel einer Mannschaft, beide Problemzonen der Norddänen mit Dynamik und Intelligenz zu attackierten und überdies ein starkes Pressing aufzubieten, womit sie auf 23 Abschlüsse kamen.

Alternativ schiebt Aalborg auch gerne mal in ein höheres Pressing bis an den gegnerischen Strafraum. Dann rückt Risgård auf und kümmert sich um den gegnerischen Sechser, während die Angreifer die Innenverteidiger zustellen und die Flügelspieler einrücken, sodass eine Mischung aus 4-3-1-2 und 4-1-3-2 entsteht. Diese Variante hat allerdings den Nachteil, dass die Flügelspieler aufwendig verschieben müssen, wenn die gegnerischen Außenverteidiger tief bleiben. Die entstehenden Unkompaktheiten im zentralen Mittelfeld können dann unter Umständen mit langen Bällen angespielt werden.

Eine Mannschaft, die mitunter ähnliche Mechanismen nutzte,
war Japan in den mittleren/späten 90ern. Der großartige, aber
hierzulande eher unbekannte Hiroshi Nanami bildete dabei mit
dem späteren Europa-Star Hidetoshi Nakata die einrückende
Flügelzange.
(beispielhafte Formation aus der Quali zur WM 1998)

Gegen Konter hilft ihnen vor allem die Anlegung ihres eigenen Offensivspiels: Da Aalborg selbst am liebsten durchs Zentrum nach vorne kommt und die Außenspieler einrücken, sind die eigenen offensiven Flügel als ungefährlichster Konterraum für den Gegners meist unbesetzt. Dafür sorgt die rautenartig interpretierte Formation für hohe Kompaktheit im Zentrum, wodurch sie entweder den Ball direkt zurückgewinnen, oder den Gegner zumindest nach außen lenken können.

Dennoch kann man ihren defensiven Umschaltmoment in den Übergangs- und Aufrücksituationen attackieren, indem man es schafft ihnen im Zentrum den Ball abzunehmen. Dann kann man versuchen, ihre Aufrückbewegungen zu bespielen. Durch das zentrumsfokussierte Passspiel gibt es recht viele Gelegenheiten für den Gegner, den Ball in guten Positionen zu erobern. Daraus ergibt sich eine sehr starke Kopplung zwischen Offensiv- und Defensivstabilität - wenn sie Probleme, vielleicht auch individueller Art im Aufbau und in den Übergangsbereichen bekommen, werden sie nicht nur offensiv schwächer sondern überdies anfälliger für Konter. Darüber hinaus, wenn sie zwar aufrücken können, aber ihre Schnellangriffe nicht so richtig zum Abschluss bringen, neigen sie ein wenig dazu, zu schablonenhaft und unkontrolliert aufzurücken, sodass die Absicherung dann stark an den individuellen Fähigkeiten von Würtz oder Ersatzsechser Augustinussen hängen bleibt, die diese Aufgabe zwar meist gut bewältigen, aber beide nicht die ganz große Dynamik mitbringen.

Schlusswort


Bereits jetzt kann man den Dänen aus Aalborg eine außergewöhnliche Saison attestieren, die womöglich sogar noch mit dem vierten Ligatitel der Vereinsgeschichte gekrönt wird. Für ihren nicht nur taktisch innovativen, sondern auch äußerst spektakulären Fußball verdienen sie sich großes Lob, besonders natürlich das Trainerteam um Kent Nielsen.

Es wird spannend zu beobachten sein, wo sich diese Mannschaft noch hinentwickelt, sofern Nielsen ihnen als Trainer erhalten bleibt. Auf der anderen Seite haben sie sich womöglich in die Notizhefte anderer Trainer gespielt und könnten vielleicht sogar bald als Vorbild für die Spielweise anderer Teams dienen.

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