Samstag, 3. Januar 2015

Besar Halimi in Stuttgart

Im Sommer 2013 wechselte ein 18-jähriger Zehner von der zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg zum VfB Stuttgart. 19 Spiele in der Regionalliga und ein paar wenige Juniorenländerspiele sowie ein Marktwert von 25.000 Euro, viel mehr hatte Besar Halimi damals nicht vorzuweisen. Nachdem er in der Saison 13/14 beim VfB II regelmäßig auf der Bank saß und sich am Ende mit seinem Trainer zerstritt, wechselte er im vergangenen Sommer zu den Nachbarn nach Degerloch, wo er mit 2 Toren und 11 Vorlagen in 22 Spielen das Interesse höherklassiger Clubs auf sich zog. Aktuell rangiert er mit den Stuttgarter Kickers auf Platz 3 in der dritten Liga und ist unumstrittener Stammspieler. Was macht den wuseligen Techniker aus und warum wurde er beim VfB übersehen?

Ungeschliffener Vollblut-Nadelspieler


Ich suche die Zweikämpfe, starte viele Dribblings. Diese Spielweise gefällt nicht jedem Trainer, denn Ballverluste sind nicht auszuschließen. Das ist aber nun einmal mein Spiel und ich bin froh, dass ich bei den Kickers so agieren kann.
- Halimi zu seiner Spielweise

Das erste Merkmal, das beim Beobachten Halimis ins Auge sticht, ist seine Konzentration auf das Suchen und Auflösen enger Drucksituationen. Er geht provokant in die Zweikämpfe und lässt Gegner anlaufen, um diese dann mit seiner Beweglichkeit und Technik auf engem Raum zu überwinden und neue Möglichkeiten zu erschließen. Selbst wenn er von mehreren Verteidigern umringt wird, findet er oft die richtige Lösung und windet sich teilweise spektakulär aus Drucksituationen. Spielverlagerung hat für diese Sorte Spieler den schönen Begriff Nadelspieler erfunden.

Darüber hinaus verfügt Halimi über ein kreatives Passspiel, seine langen Bälle sind präzise, seine Lochpässe ins offensive Mittelfeld technisch sehr stark und er deutet auch immer wieder ein hervorragendes Gespür für den finalen Pass an. Allerdings ist seine Entscheidungsfindung noch sehr unausgereift, was sein Spiel etwas unbedacht und manchmal aktionistisch wirken lässt. Vor allem besitzt er die unschöne Neigung, Mitspieler unter Druck anzuspielen, ohne dass diese über sinnvolle Fortsetzungsmöglichkeiten verfügen. Andererseits deuten sein gutes Bewegungsspiel (defensiv und offensiv) und sein eigentlich gutes Timing im Bedienen von dynamischen Situationen darauf hin, dass er durchaus über ein gutes Spiel- und Strukturverständnis verfügt. Er nutzt es allerdings weder konstant, noch in einem besonders weitreichenden Kontext. Darüber hinaus zeigt er ab und zu kleinere technische Unsauberkeiten, die ihn in seinen Dribblings aus dem Rhythmus werfen. Diese hin und wieder auftretenden Schwächen täuschen allerdings nicht über das enorme Potential hinweg, das in ihm steckt.

Beim VfB verkannt


Irgendwie habe ich nicht ins System gepasst. Ich habe gedacht, bei so einer zweiten Mannschaft eines Bundesligisten wird mehr Fußball gespielt als gekämpft.
- Halimi zu seiner Zeit beim VfB

Halimi als Zehner beim VfB II
In der Saison 2013/14 war Halimi Teil der U23 des VfB, die damals wie heute von Jürgen Kramny trainiert wurde. Trotz dessen, dass es sich um eine reine Ausbildungsmannschaft handelt, wurde spielerisch damals absolut durchschnittliche Drittligakost geboten. Der Spielaufbau war wenig ambitioniert und wurde schon bei geringem Pressingdruck von langen Bällen abgelöst. Oft versuchte man, anschließende Flügelüberladungen, wobei der ballferne Außenspieler recht breit blieb und später in den Strafraum nachrückte. Es fehlten daher Verbindungen in die Mitte und so entwickelte sich im letzten Drittel ein simples, flankenlastiges Spiel.

Die Aussage oben, dass das System verantwortlich für Halimis Scheitern beim VfB gewesen sei, würde ich trotzdem nicht unterschreiben. Mit Marco Grüttner gab es einen Spieler, der lange Bälle behaupten und ablegen konnte, während sich Halimi mit seinen ausweichenden Bewegungen gut in die Mechanismen auf den Seiten einschaltete. Außerdem war er wegen den eher tiefen Sechsern und Außenverteidigern gut abgesichert. Eigentlich guter Nährboden für seine riskanten Dribblings, der auch, so weit ich es verfolgen konnte, in Halimis wenigen Einsätzen recht ansprechende Leistungen hervorbrachte. Das Problem dürfte eher gewesen sein, dass seine Fähigkeiten und sein Potential völlig falsch bewertet wurden.

Er muss allerdings noch lernen, mehr Einfluss auf das Defensivverhalten zu nehmen.
- Jürgen Kramny im März 2014

Frühzeitig antizipiert Halimi, dass Cottbus über den Flügel
kommen wird und nimmt unterwegs noch den gegnerischen
Stürmer in den Deckungsschatten. Übrigens war er in
diesem Spiel einziger Sechser im Stuttgarter 4-3-3.

Meiner Meinung nach ist das eine katastrophale Fehleinschätzung und leider nicht die erste dieser Art, wenn es um eigene Nachwuchstalente geht. Im Sommer 2013 verkaufte der VfB Joshua Kimmich mit Rückkaufoption an den Drittligisten RB Leipzig, offenbar weil man ihm die Konkurrenz in der zweiten Mannschaft nicht zutraute, während dieser bei RBL schnell zum Stammspieler in Liga 3 sowie anschließend in der 2. Bundesliga avancierte, und ganze anderthalb Jahre später schließlich für 7 Millionen Euro von Guardiolas Bayern verpflichtet wurde. Aber für die U23 vom VfB Stuttgart ist er selbstverständlich nicht gut genug.

Eine ähnlich falsche Einschätzung lag offensichtlich auch bei Halimi vor. Schon in seinem ersten Spiel gegen Erfurt im Herbst 2013 demonstrierte er Engagement und Intelligenz im Pressing. Seine Arbeit gegen den Ball ist zwar nicht von allerhöchster Intensität und Zweikampfstärke geprägt, aber er trifft gute Entscheidungen, schließt Lücken und kann den Gegner mit seiner vorausschauenden Spielweise effektiv lenken. In dem besagten Spiel gab es sogar eine Szene, in der er von seiner halblinken Grundposition aus quer über den Platz sprintet, um tief auf dem rechten Flügel auszuhelfen. Interessanterweise ähnelt sein wenig ausdauernder, etwas undynamischer, aber dennoch konstanter, hilfsbereiter und intelligenter Defensivstil sehr dem von Alexandru Maxim, dem ebenfalls ständig irgendwelche Schwächen gegen den Ball angedichtet werden.

Er geht jedem Ball hinterher, hilft aus, wenn ein Teamkollege überspielt wird, und macht die Lücken zu.
- Kickers-Trainer Horst Steffen über seinen Spieler

Halimi bei den Kickers


Wenn man sich die Presseberichten von damals ansieht, liegt der Schluss nahe, dass Halimi seine Unzufriedenheit beim VfB recht direkt kundgetan haben muss. Für die letzten 5 Spiele wurde er aus dem Kader gestrichen und er verließ folgerichtig den Verein Richtung Stuttgarter Kickers. Diese waren zwei Jahre zuvor aufgestiegen und nach einem soliden 8. Platz in der vergangenen Saison auf einem guten Weg, sich in der dritten Liga zu etablieren.

Die Stuttgarter Kickers mit Halimi als Achter
Halimi sollte dabei helfen und wurde ohne Umschweife Stammspieler in der spielerisch wesentlich ambitionierteren Mannschaft aus Degerloch. Die ersten Partien bestritt er noch als Rechtsaußen als Teil der hoch positionierten Stürmerreihe. Mit der Zeit rutschte er allerdings weiter nach hinten und spätestens seit der Verletzung von Vincenzo Marchese hat er seinen Platz im Mittelfeldzentrum sicher.

Dort agiert er meist auf der rechten Halbposition, spielt wie seine beiden Nebenmänner recht positionstreu und schiebt meist nur etwas unterstützend nach vorne. Sein Anbietverhalten ist dabei recht simpel freiraumorientiert, aber durchgehend aktiv und durchaus balanciert. Seine tiefere Rolle geht auch mit mehr Aufgaben im Spielaufbau einher, auch wenn die Kickers hier in der kollektiven Ausrichtung noch besser sein könnten. Die technisch eher mäßig begabten Innenverteidiger überspielen oft Pressinglücken des Gegners mit langen Bällen auf die Flügel, die die Außenverteidiger erlaufen sollen. Auch der sehr antreibende Sandrino Braun neigt etwas zu ungeduldigem Vertikalspiel. Dadurch wird der raumsuchende Halimi nicht selten in guter Position übersehen.

Dennoch ist seine Einbindung positiv zu bewerten. In der konstruktiven, ballbesitzorientierten Mannschaft von Horst Steffen kann er seine Stärken geplanter und vielseitiger einbringen und vor allem auch seine strategischen Fähigkeiten kultivieren. Seine Engenstärke bringt er meistens in etwas aufgerückten Stellungen ein, aber er nutzt sie auch ansatzweise schon in tieferen Bereichen. Mit ihm ist es beispielsweise auch möglich, sich gegen gegnerisches Angriffspressing zu behaupten, auch weil mit Korbinian Müller ein spielstarker Schlussmann bereitsteht, der mit ihm interagieren kann.

Ausblick


Besar Halimi ist auf jeden Fall ein außergewöhnlicher und angesichts der immer höher werdenden Kompaktheit möglicherweise auch ein zukunftsweisender Spielertyp, der darüber hinaus über verrücktes individuelles Potential verfügt. Für ihn geht es in den nächsten Monaten und Jahren vor allem darum, den strategischen Aspekt seines Spiels zu verbessern und noch stabiler in seinen Offensivaktionen zu werden. Die Stuttgarter Kickers scheinen dafür aktuell eine gute Adresse zu sein und folglich verlängerte er kürzlich seinen Vertrag bis 2016. Es bleibt abzuwarten, wo seine Entwicklung noch hinführt.

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