Sonntag, 1. März 2015

23. Spieltag: Hannover 96 - VfB Stuttgart 1:1

Da schreibst du zum ersten Mal in deinem Leben eine Spielvorschau, bist eigentlich der Meinung, du hättest 'ne ganz gute Vorstellung davon, was der Trainer deiner Mannschaft vorhaben könnte, und dann dreht der in seinem Vielleicht-Endspiel einfach mal komplett am Rad. Stevens' schockierend offensive und riskante Herangehensweise sorgt für ein zerfahrenes und hektisches Match, mit dem der VfB zunächst ein wenig besser zurechtkommt, bis Hannover gegen Ende doch noch in die Partie findet.

Stevens spielt Pressing


Schon an der Aufstellung konnte man ablesen, dass es möglicherweise keine ganz so passive Ausrichtung geben würde, wie in sämtlichen bisherigen Stevens-Partien. Der VfB spielte allerdings nicht nur "ein bisschen offensiver", wie man es im Rahmen einer normalen Entwicklung erwarten könnte, sondern rückte über weite Strecken von seinem passiv-mannorientierten Grundsystem ab und attackierte Hannovers Spielaufbau stattdessen mit einem aggressiv aufrückenden Mittelfeldpressing. Dabei startete Maxim von halblinks in der Nähe von Gülselam, während Ginczek isolierende Läufe nach außen machte und den Pass auf den Außenverteidiger provozierte. Dieser wurde dann von den Flügelspielern gepresst und von hinten wurde kollektiv nachgerückt. Die üblichen Mannorientierungen gab es zwar noch, vor allem in den hinteren Reihen, sowie gelegentlich von Gentner auf Andreasen, aber sie wurden die meiste Zeit über von den zugriffsorientierten Pressingbewegungen verdeckt.

Wenn der Ball von 96 nach außen gespielt wurde oder Hannover nach gewonnenen zweiten Bällen etwas aufrückte, kesselte der VfB den Gegner auf der Seite ein. Dazu schoben beide Sechser sehr weit nach außen und übten Druck aus, während der ballferne Flügelspieler sich nur leicht nach hinten orientierte. In der Folge klafften teilweise gigantische Lücken in den Verlagerungszonen, die Hannover unter Druck aber selten fand. Das spielte dem VfB wiederum in die Karten, der nach anschließenden Ballgewinnen die Flügelstürmer Harnik und Werner bedienen konnte.

Hannovers Schwierigkeiten beim Ausnutzen der ballfernen Räume war so ein bisschen der Knackpunkt in der Partie. Einerseits waren die Staffelungen manchmal nicht ganz optimal, manchmal fehlte die Breite, manchmal die Tiefe, teilweise fehlte auch eine Besetzung der halbrechten Zone hinter dem aufrückenden Briand und Hannover wurde wegen ihrer recht zweigeteilten Systematik ein wenig unverbunden. Andererseits waren die bevorzugten Angriffsrouten zu linear angelegt und 96 ließ sich häufig zu einfach auf die Außen leiten und baute dann wiederum zu wenige diagonale Elemente ein. Dadurch war es einfach, die Ansätze der Niedersachsen auf der Seite zu erdrücken.

Die suboptimal gestaffelten Hannoveraner können sich nach einem kurzen Freistoß nicht richtig ins Zentrum lösen und werden deshalb von den herüberschiebenden Sechsern auf der Seite festgenagelt. Albornoz rettet die Situation noch geschickt gegen Harnik und verhindert damit einen Ballverlust. Weil Ginczek und Maxim allerdings die unmittelbaren Verlagerungsoptionen blocken, muss Schulz auf Zieler zurückspielen und der VfB kann sich neu formieren.

Dank Albornoz' Technik und Pribs Unterstützung konnten sie den Ball auf ihrer linken Seite manchmal noch ganz gut sichern oder vereinzelt sogar in die gefährlichen Räume bringen. Allerdings gab es in diesen Fällen oft die oben angesprochenen Probleme, sowie teilweise technische Schwierigkeiten, die in unglücklichen Momenten auftraten.

VfB mit Vorteilen im Zweite-Bälle-Duell


In Ermangelung wirklich konstanter spielerischer Lösungen von 96 und auch dem VfB, entwickelte sich eine hektische, vertikale Partie, die von Kontern, langen Bällen und dem Kampf um zweite Bälle geprägt war. Dafür hatte sich Stevens einen ganz netten Kniff überlegt, indem er Harnik sehr breit an die Außenlinie stellte und der Rest sich weiter weg positionierte. Der lange Ball kam dann entweder auf Harnik oder etwas weiter ins Zentrum, während die umliegenden Räume anschließend dynamisch von dem sehr physischen Trio Ginczek, Gentner und eben Harnik angelaufen wurden. Zusammen mit der sowieso hohen Offensivpräsenz war der VfB dadurch recht gut nach zweiten Bällen.

Hannover versuchte dagegen häufig den Ball vom Flügel aus geradlinig nach vorne Richtung Briand oder Joselu zu schlagen. Anschließend verpassten sie es allerdings, konsequent ins Gegenpressing zu gehen und die hinteren Reihen zogen sich gegen die hohe Stuttgarter Offensivreihe eher zurück. Das öffnete Räume im Mittelfeld, die der VfB zum Einleiten von Kontern oder zum Aufrücken über die Flügel nutzen konnte.

Im anschließenden Offensivspiel mit Kontern und gelegentlichen Ballbesitzangriffen profitierte der VfB vor allem davon, dass die Startelf tatsächlich nach offensiven Gesichtspunkten zusammengestellt war. Harnik und Werner spielten als Außenstürmer wie erwähnt sehr hoch und arbeiteten viel in die Spitze, wobei Harnik situativ sein Einrücken bis auf den gegenüberliegenden Flügel fortsetzte. Ginczek wich ein bisschen nach rechts und übernahm dann Harniks Position. Maxim spielte dahinter ausweichend und eher linksseitig in der Nähe von Sakai, während Gentner recht balanciert in verschiedene Bereiche vorrückte. Klein sicherte den ganzen Kram mit seinem typischen diagonalen Vorschieben ab.

Aus dieser Systematik heraus ergaben sich wesentlich bessere, weil komplexere Synergien als zuletzt. Ginczeks leichtes Ausweichen ergänzte sich gut mit Harniks Einrücken, während Gentner manchmal die Breite geben konnte. Links harmonierten Maxim, Sakai, Gentner und Werner wie erwartet gut und sorgten für die besten Stuttgarter Offensivszenen. Maxims Ausweichen in die Halbräume sorgte darüber hinaus für die lange abstinente Verlagerungsoption im Zentrum und besserte das Konterspiel ein Stück auf. Gut war außerdem die Offensivkompaktheit, die dank des "absichernden Aufrückens" von Klein und auch Die, sowie der Präsenz im Zentrum mit Maxim und Gentner stärker schien als zuletzt, auch wenn sie nicht konstant optimal war.

Das hört sich jetzt vielleicht alles nach einer völlig überlegen geführten Halbzeit an, aber so war es nicht. Im Gegenteil: In der ersten Hälfte hatte Hannover ein Torschussverhältnis von 8:3 (2:0 aufs Tor) und selbst wenn man einige Distanzschüsse und Abschlüsse aus ungünstigen Positionen abzieht, kommt man noch auf eine leichte Überlegenheit. Diese spiegelt einige Kehrseiten der VfB-Strategie wider: Zum einen herrschte durch die extrem vertikale Besetzung ohne die ruhigen, sowie technisch und taktisch sauberen Aufbauspieler Baumgartl und Romeu auch im eigenen Aufbauspiel teilweise viel Unruhe, was gegen Hannovers ebenfalls hohes Pressing zwei tiefe Ballverluste und damit gute Chancen für den Gegner verursachte. Auf der anderen Seite zeigten sich die Vorteile von Hannovers eher zurückhaltender Ausrichtung und der kompakte Block mit der Abwehrreihe, den Sechsern und Prib provozierte meist ein Aufrücken über den linken Stuttgarter Flügel, von wo aus die meisten Angriffe abgeschlossen wurden, ohne einerseits konsequent die eigenen Mechanismen zu fokussieren oder andererseits mal eine hohe Ballzirkulation und damit Spielkontrolle aufzubauen. Das wiederum eröffnete Hannover mehr Chancen für eigene Angriffe.

Umschwung nach der Pause


In der zweiten Halbzeit versuchte Stindl, der zuvor in erster Linie ausweichende Bewegungen in der Offensive zeigte, etwas mehr zurückzufallen und seine Mannschaft vom Flügel wegzulenken. Wegen nicht optimaler Folgebewegungen der Sechser versandete dieser Ansatz aber im Rhythmus des Spiels wieder ein bisschen. In der 52. Minute schoss der VfB dann sein etwas glückliches Präsenztor nach einem klassischen Gentner-Schattenlauf.

Zehn Minuten später reagierte Korkut und erzwang mehr Stindl im Spielaufbau mit einem Doppelwechsel (Kiyotake und Bittencourt für Andreasen und Prib) und einer anschließenden Umstellung auf 4-1-4-1. Mit Stindl und Kiyotake als Achter gab es in den ballnahen Halbzonen nun wesentlich mehr Aktivität als davor und selten zog Hiroki Sakai sogar Werner nach hinten und öffnete dem 96-Kapitän die rechte Seite (wurde aber nicht konsequent so gemacht).

Damit kam Hannover tief seitlich zu ein paar Freiheiten und konnte durch häufigere Verlagerungen die riesigen Lücken im VfB-Verbund besser offenlegen. Entweder kombinierten sie sich anschließend in die extrem instabile Mitte hinein oder versuchten über den Flügel durchzubrechen. Auch wenn gerade Stindl etwas zu wenige strategische Elemente lieferte, kam Hannover nach dieser Umstellung zu besseren Offensivszenen, die sie allerdings nicht effektiv zu Ende gespielt bekamen. Für den Ausgleich musste daher ein Freistoß herhalten, bei dem sie im zweiten Anlauf den miserablen Übergang des Stuttgarter Deckungsverhaltens vom Standard ins laufenden Spiel ausnutzten.

Hannover profitierte auch davon, dass der VfB nach Korkuts Umstellung gegen den Ball deutlich abbaute. Auf der einen Seite ließ die Intensität im Pressing nach, aber es wurde von den vorderen Positionen nicht konsequent in eine kompaktere Formation nachgeschoben, sodass man nicht mehr so viel Druck machen konnte und gleichzeitig weiter Lücken ließ. Im Angriff blieb der VfB allerdings durch das immer noch vorherrschende Hin und Her mit den zockenden Außen und Hannovers inzwischen etwas höheren Außenverteidigern gefährlich und konnte auch die tendenziell anfälligen Halbräume in Hannovers 4-1-4-1 mit Gentner und Maxim ganz gut nutzen. Zu weiteren Toren kam es allerdings nicht mehr und es blieb beim 1:1.

Fazit


Es ist gar nicht so einfach, dieses Spiel zu bewerten. Es war offensiv, aber nicht vollkommen durchschlagskräftig und auf der anderen Seite riskant und potentiell extrem anfällig, was von Hannover wiederum nicht optimal ausgenutzt wurde. Also womöglich mehr Überraschungseffekt als wirkliche Steigerung (unter anderem in dieser Hinsicht erinnerte mich das Spiel übrigens sehr an das 5:4 gegen Frankfurt unter Veh). Dass der vorherige Defensivfokus einfach mal völlig in die Tonne gekloppt wurde, dürfte auch für den Gegner unerwartet gewesen sein.

PS: Eine Analyse aus Gegnersicht gibt es auch.

2 Kommentare:

  1. Habe Eure Seite erst heute zufällig entdeckt und werde definitiv in Zukunft immer wieder vorbei schauen. Schöne Analyse, liest sich sehr gut!

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