Mittwoch, 19. Dezember 2018

Spielanalyse: VfL Wolfsburg - VfB Stuttgart 2:0

Der VfB flankt gegen einen Flanken-resistenten Gegner und spielt auch noch schlechtes Pressing. Nach dem Rückstand packt der VfB dann zum zweiten Mal seinen brachialen Plan B aus, doch Labbadias Mentalitätsmonster halten dagegen.

Wie üblich unter Weinzierl trat der VfB auch gegen Bruno Labbadias VfL Wolfsburg in einer asymmetrischen Mischformation auf. Diesmal war es ein Mix aus 4-2-3-1 und Raute, da Donis zwischen Rechtsaußen und Mittelstürmer und Gonzalez zwischen Achter und Linksaußen positioniert war. Ähnlich wie gegen Hertha wechselte der VfB zunächst zwischen einem tiefem Mittelfeldpressing und einem Angriffspressing, um die Vorteile von beidem zu verbinden: Einerseits stabil stehen, andererseits den Gegner auch mal unter Druck setzen, um sich Spielanteile zu holen. Beide Varianten funktionierten in der ersten Halbzeit nicht besonders gut.

So-lala-Angriffspressing gegen vielfältiges Aufbauspiel


Das Angriffspressing fand in einer klaren Rautenformation statt. Akolo deckte als Zehner meist Guilavogui, während die Stürmer die Innenverteidiger anliefen oder zustellten. Das Problem: Die Außenverteidiger wurden zunächst nicht angelaufen, Wolfsburg konnte sich also relativ leicht dorthin lösen. Wenn der Außenverteidiger im Deckungsschatten eines Stürmers stand, löste sich Wolfsburg geschickt über eine zusätzliche Station im Zentrum, zum Beispiel den zurückfallenden Arnold (Guilavogui dann etwas nach rechts schiebend) oder einen der Innenverteidiger, die vereinzelt Kevin-Vogt-mäßig auf die Sechserposition rochierten und so ihren Gegenspieler wegzogen oder selbst frei wurden. Besonders Brooks rückte des Öfteren auch innerhalb der ersten Linie ins Zentrum, während Roussillon dann tief blieb, um die Breite zu halten. So konnte Wolfsburg auch mal mit Dreierkette aufbauen und die Wege auf Roussillon sehr weit machen.

So blieben die meisten Angriffspressing-Versuche des VfB in der Anfangsphase erfolglos. Nach rund einer Viertelstunde änderte sich das ein wenig, die Achter rückten aggressiver auf und liefen bis zu Wolfsburgs Außenverteidigern durch. Zudem liefen die Stürmer aus der Situation heraus öfter Casteels an und behielten dabei den Pass zu "ihrer" Seite im Deckungsschatten. Dadurch konnten die anderen Pressingspieler frühzeitig auf die andere Seite verschieben und viel einfacher als beim bloßen Zustellen den freien Außenverteidiger anlaufen. Gerade nach dem 1:0 legt der VfB auch deutlich an Intensität und Griffigkeit im Anlaufen zu und provozierte mehr lange Bälle und sogar den einen oder anderen tiefen Ballverlust, ohne jedoch Wolfsburgs variantenreiches, gut strukturiertes Aufbauspiel vollständig lahmlegen zu können.

Mannorientierungen zerstören die Kette


Während das Angriffspressing also ambivalent daherkam, war das Mittelfeldpressing ein wenig klarer problembehaftet. Hier spielte der VfB in der beschriebenen Mischformation aus Raute und 4-2-3-1. Mit drei Sechsern plus Akolo als Zehner davor war das Zentrum überwiegend dicht. Allerdings konnte Wolfsburg problemlos um diesen Zentrumsblock herum den Ball laufen lassen. Sie spielten ungefähr 4-3-3 oder 4-4-2, waren allerdings vorne recht frei organisiert. Mehmedi hatte zum Beispiel eine Art Freirolle und tauchte mal links, mal rechts, mal zentral auf. Zudem tauschten die Achter und die Stürmer öfter die Seiten. Obwohl sie vorne also keine klare Flügelbesetzung hatten, rochierten Spieler wie Mehmedi, Gerhardt oder ein Stürmer immer wieder zur Seite. Zudem forderte Arnold viele Bälle von der linken Seitenlinie, während die Außenverteidiger manchmal ins Zentrum rückten, um Passwege nach außen zu öffnen. So ließ Wolfsburg den Ball geschickt in einer U-Struktur laufen, also viel hintenrum, viel außen und wenig innerhalb des gegnerischen Blocks. Der VfB bekam dagegen kaum Druck auf den Ball und wirkte bisweilen lasch im Anlaufverhalten. Wolfsburg nutzte das für lange Verlagerungen und Vertikalpässe an die letzte Linie.

Zum geringen Druck auf den Ball kam ein merkwürdiges Verhalten der Stuttgarter Viererkette. Grundsätzlich agierten die Abwehrspieler recht mannorientiert, die Außenverteidiger nahmen VfL-Spieler, die auf die Flügel rochierten aggressiv auf. Baumgartl und Kempf verfolgten kurze Läufe zur Seite oder zwischen die Linien von Ginczek und Weghorst oft eng. Durch diese Mannorientierungen schienen aber irgendwie grundlegende Kettenmechanismen außer Kraft gesetzt worden zu sein. Vor allen Dingen schob die Abwehr nicht wirklich als Einheit zum Ball, da die ballfernen Spieler etwa in losen Mannorientierungen stehen blieben. Dadurch wurden die Schnittstellen sehr groß.

Wolfsburg nutzte diese Lücken für ein paar gute Schnellangriffe. Ihre Läufe an der letzten Linie wirkten gut aufeinander abgestimmt. Mehrmals hatten sie drei gut gestaffelte Spieler an der letzten Linie zusammen, die alle die gleiche Idee hatten und sich entsprechend synchron zueinander bewegten. Ein Schlüsselspieler bei diesen Spielzügen war Daniel Ginczek, der sich immer wieder zwischen die Linien fallen ließ und Direktpässe und kreative Bälle hinter die Abwehr spielte - beste Einbindung seit damals im Duo mit Martin Harnik. Wolfsburgs Tore wurden zwar nicht direkt aus solchen Situationen herausgespielt, aber immerhin: Der Freistoß zum 1:0 entstand nach einem Vertikalball zwischen die Linien, wo sich Wolfsburg eigentlich schon hinter die Abwehr durchkombinieren kann (und der VfB im hohen Mittelfeldpressing reichlich unkompakt dasteht). Das 2:0 entstand aus einer Gegenpressing-Situation wo Ascacibar nach einer schnellen Dreieckskombination über den Flügel den Fehlpass am eigenen Strafraum spielt.

Flankenfußball gegen massive Strafraumverteidigung


In der Anfangsphase dominierte Wolfsburg den Ball, indem sie das Angriffspressing des Gegners ausspielten. Um selbst zu Spielanteilen zu kommen, musste der VfB sich ebenfalls gegen ein Angriffspressing behaupten. Grundsätzlich agierte Wolfsburg noch einmal deutlich mannorientierter als der VfB und stellte häufig mit etwas Improvisation eins gegen eins zu. Das klappte ganz gut und wenn sie bis zu Zieler durchliefen, schlug dieser mehrere unkontrollierte Bälle ins Aus. Da Wolfsburg in Ballbesitz wie erwähnt sehr frei auftrat, mussten sie ihre Unordnung aus den Ballbesitzsituationen manchmal auch ins Pressing mitnehmen. Gerade dann gelang es dem VfB recht gut, sich über die Flügel an der zentrumsorientierten 4-3-Restformation vorbeizuschieben, zum Beispiel über die kraftvollen Dribblings von Insua und Gonzalez. Ansonsten zeigten sie einzelne geschickte Spielzüge über die Halbräume linear nach vorne, wo sie mit ausweichenden Bewegungen von Akolo, Gentners Vorstößen oder Kempfs Ruhe am Ball die Mannorientierungen von Wolfsburg knacken konnten.

Die eigentlichen Probleme des VfB begannen nach dem Übergang nach vorne. Wolfsburg verteidigte dort so ähnlich wie sie angriffen: Sie fokussierten sich auf die Flügel und die Abwehrlinie und improvisierten viel. Die Achter rückten extrem weit zum ballnahen Flügel, teils sogar beide gleichzeitig, während Guilavogui in der Abwehrkette aushalf und manchmal sogar noch von Gerhardt oder Arnold mannorientiert zurückfallend unterstützt wurde. Dadurch entstanden chaotische Staffelungen mit riesigen Räumen im Zentrum vor der Abwehr, die Weghorst und vor allem Ginczek mit gutem Timing mitverteidigen mussten. Teilweise schob auch Roussillon wild ins Zentrum mit ein. Der VfB tat den Wölfen den Gefallen, immer wieder in den Räumen zu spielen, die Wolfsburg verteidigte und keinen Druck auf die Räume zu machen, die sie offen ließen. Die VfB-Spieler orientierten sich oft zu langsam und zu sehr zum Flügel mit dem Ziel zur Flanke zu kommen, sodass sie die Räume im Zentrum nicht nutzen konnten und keinen Zug zum Tor entwickelten. Mit ihrer massiv aus dem Mittelfeld unterstützten Strafraumverteidigung, konnte Wolfsburg die folgenden hohen Bälle überwiegend klären. Dass mit Aidonis (noch instabil natürlich, aber tolle Ansätze), Gonzalez und Donis drei von vier Außenspielern keine Experten für Flanken sind, half da natürlich auch nicht.

Weinzierls Plan B


Nun geriet der VfB auch schon am Wochenende gegen Hertha BSC nach einer schwachen Leistung in Rückstand, konnte sich dann steigern und das Spiel drehen. Die strategische Anpassung aus diesem Spiel wiederholte der VfB schon ansatzweise nach dem 0:1, spätestens dann nach dem 0:2 und in der gesamten zweiten Halbzeit. Die Mannschaft erhöhte die Offensivpräsenz unter anderem mit höheren Außenverteidigern, schlug lange Bälle und einen schnelleren Rhythmus an, wurde deutlich aggressiver im Gegenpressing und spielte gegen den Ball fast nur noch Angriffspressing. Dadurch wollten sie den Gegner hinten rein drücken und sich in der gegnerischen Hälfte festsetzen. Womöglich wurden für diesen Plan sogar extra Kräfte gespart.

Damit das klappen konnte, mussten die Verteidiger vor allem im (zuvor mäßig intensiven) Gegenpressing sehr viel aggressiver nach vorne verteidigen und ihre Zweikämpfe gewinnen. Besonders Kempf trat mit seiner Dynamik und (wie bereits letzte Woche besprochen) Kopfballstärke extrem dominant auf. Ascacibar schob als Absicherung aggressiv auf den Flügel nach, wenn sich Wolfsburg doch in die Räume hinter den Außenverteidigern durchspielte. So konnte der VfB sich über Gegenpressing (nach hohem Ballbesitz oder langen Bällen) und schnelle Freistößen häufiger in Wolfsburgs Hälfte vorarbeiten und festsetzen. Wolfsburgs Formationsloch im Zentrum fiel ihnen jetzt ein bisschen auf die Füße, weil der VfB dort mittlerweile seine zweiten Bälle gewann. Allerdings besetzten und bespielten die Stuttgarter diese Räume zu drucklos, um aus ihnen direkt vors Tor zu kommen. Stattdessen ging es eben wieder auf die Flügel. Dort waren die hohen Außenverteidiger für Wolfsburg immerhin schwierig zu verteidigen, weil da von den Offensivpositionen nicht so viel Hilfe für Roussillon und William kam.

Furchtlose Wölfe


Wolfsburg hielt in der zweiten Halbzeit allerdings mit einer außergewöhnlichen Mentalität dagegen. Obwohl sie in der Situation waren, etwas verlieren zu können, blieben sie mutig und selbstbewusst. Auch wenn sich die langen Bälle häuften, konnte Wolfsburg das Angriffspressing des VfB vereinzelt wie in der ersten Halbzeit flach aushebeln. Bei den langen Bällen wiederum rückten sie immer noch mit genügend Spielern auf, um die riskante Tiefensicherung des VfB unter Druck zu setzen und kamen damit auch zu Chancen. Außerdem spielten sie weiterhin konstant Angriffspressing, erzwangen etwas unkontrollierte lange Bälle und holten sich die zur Entlastung. Der Nachteil war natürlich das Loch im Zentrum, in dem der VfB seine zweiten Bälle aufsammelte. Wolfsburg nahm das Risiko in Kauf, um im Spiel zu bleiben. Anders als gegen Hertha brachte dem VfB die Umstellung nach dem Rückstand kein psychologisches Momentum ein.

Trotz allem ließ Wolfsburgs mutige Spielweise Räume, die man besser hätte nutzen können. Zudem waren die Wölfe im Spielaufbau eigentlich ziemlich instabil und machten viele vermeidbare Fehler, die zu Kontern für den VfB führten. Guilavogui etwa war als zentraler Sechser im Ballbesitzspiel sicher keine Topbesetzung, während etwa Roussillon manchmal überdreht in seinen Entscheidungen auftrat. Aus solchen Kontersituationen und den starken Gegenpressing-Szenen hätte der VfB durchaus auch ein Tor machen können, vielleicht sogar zwei. Nur gilt das für Wolfsburg in der zweiten Hälfte eben auch.

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