Thomas Schaaf und Armin Veh gelten ja gemeinhin eher als besonnene Vertreter ihres Fachs; von ihren Mannschaften konnte man das an diesem Samstagnachmittag hingegen nicht behaupten. Der VfB Stuttgart und Eintracht Frankfurt trafen sich zum Bundesligaduell und ballerten sich in einer actiongeladenen Partie mit 9 Toren in die Geschichtsbücher.
Die Frankfurter Dreierkette und deren Probleme
Formationen nach Schaafs früher Umstellung |
Das neu formierte 3-4-1-2 brachte jedoch einige Probleme mit sich. Nicht nur, dass der Übergang aus dem 4-2-3-1 ziemlich chaotisch ablief und im ersten Moment die Zuordnungen der Frankfurter torpedierte (daraus entstand die erste Großchance für den VfB), sondern auch anschließende Probleme im Pressing sorgten dafür, dass sich die Gäste in der ersten Halbzeit deutliche Vorteile erarbeiten konnten.
Insbesondere bekamen sie in ihrem Angriffspressing keinen Druck auf die gegnerischen Außenverteidiger. Da Ignjovski und Oczipka von den breiten Stuttgarter Flügeln gebunden waren, mussten die zentralen Mittelfeldspieler aufwendig nach außen verschieben, sodass Klein und Sakai genug Zeit blieb, ihr Sichtfeld aufzudrehen und Optionen auszuloten. Besonders der Japaner wurde im Spielaufbau fokussiert und konnte sich gegen heranstürmende Gegenspieler spielerisch behaupten. Anschließend konnte der VfB über seine verbesserten Mechanismen im offensiven Mittelfeld weiter nach vorne kommen. Aber dazu später noch mehr.
Stuttgarts stuttgartiges Pressing
Der bedeutsamste Aspekt der ersten Halbzeit war nämlich im Defensivverhalten des VfB zu finden. Veh schickte seine Mannschaft wieder in einer 4-2-3-1-Grundordnung auf den Platz und ließ, ähnlich wie die Hausherren, ein hohes Mittelfeldpressing mit situativem Aufrücken ins Angriffspressing spielen. Mit Maxim und Harnik hatten die Schwaben dafür zwei exzellente Pressingspitzen, mit Sararer und Kostic zwei dynamische Akteure auf den Außen, die ihre Aufgaben gut erledigten und im Mittelfeld den hervorragenden Romeu zusammen mit Gentner, der eine besondere, aber nicht ungewohnte Rolle im Defensivspiel hatte.
Der Pressingablauf war zunächst so, dass Harnik dem Halbverteidiger den Passweg zu Russ abschnitt. Anschließend rückte der Rest der Mannschaft auf, die Flügelspieler attackierten Frankfurts Außenverteidiger und die Sechser wurden flexibel von Maxim in den Deckungsschatten gestellt oder von den eigenen Mittelfeldspielern aufgenommen. Der ballferne Außenspieler rückte ebenfalls auf und spekulierte ein bisschen auf Konter.
Alles in allem war die Pressingbewegung, auch dank der inidividuellen Defensivqualitäten von Harnik, Maxim und Romeu, sehr harmonisch, intensiv und effektiv, sodass die Eintracht im Spielaufbau unter großen Druck gesetzt wurde. Wenn man jedoch eine Linie nach hinten blickte, taten sich beim VfB einige offene Räume auf; das betraf zum Beispiel den Raum zwischen Mittelfeld und Abwehr. Ob diese Unsauberkeiten in der hinteren Bewegung bewusst in Kauf genommen wurden oder sogar geplant waren, ist schwer zu sagen. Zumindest ein Mechanismus war aber bewusst als Falle angelegt.
Dieser betraf die Rolle von Gentner, der in der Defensive zum einen gelegentlich weit herausrückte und zum anderen bei Angriffen über die eigene rechte Seite weit nachschob und Romeu unterstützte, indem er sich in Passwege zu den zentralen Spielern der Eintracht stellte. Der linke Halbraum ging dadurch bisweilen weit auf, wurde aber flexibel durch weites Rückwärtspressing von Maxim, Harnik oder dem linken Flügelspieler, oder dem sehr gut getimten Herausrücken von Niedermeier kontrolliert. Darüber hinaus kam ihnen dabei die gegnerische Mittelfeldbesetzung zugute: Den Hessen fehlte es nämlich an Dynamik im Zentrum. Inui ist ein eher kleinteiliger Dribbler und konnte wie auch Hasebe und Piazon die großen, aber sich schnell wieder schließenden Räume nicht ausnutzen, zumal oft keine klaren Anschlussstrukturen vorhanden waren.
Darüber hinaus wurde den Frankfurtern ein sehr unangehmer Rhythmus aufgezwungen. Die Ressourcen, die Stuttgart in den offenen Räumen fehlten, investierten sie, um noch mehr Druck zu machen. Die Außenverteidiger rückten weit ein und die Sechser weit auf. Dadurch hatten die Gastgeber enorme Probleme, sauber und strukturiert zu attackieren, kamen nicht sinnvoll hinten heraus, wurden hektisch und spielten Fehlpässe. Die Folge: Der VfB gewann den Ball in hohen Zonen wie am Fließband. Anschließend konnten sie durch ihre nach vorne gerichtete Bewegung und die vielen Spieler in hoher Position gefährlich kontern. Das Ausspielen dieser Situationen klappte nicht ideal, aber das gute Bewegungsspiel von Maxim und Harnik half ihnen dabei, während Kostic und Sararer auf den Außenbahnen individuell für Gefahr sorgen konnten. Das 1:1 fiel direkt nach so einer Balleroberung, und es wären noch mehr Treffer möglich gewesen.
Schaaf rudert zurück
Formationen nach dem 1:0 |
Gentner ging besonders in der Anfangsphase weit auf den linken Flügel und zog damit die im 3-4-1-2 sehr mannorientierten Mittelfeldspieler der Eintracht aus dem Weg. Dafür rückte Maxim in die Achterbereiche und bekam somit ein wenig Freiraum. Über diese Wechselbewegung, die sie gern in den Pressingphasen des Gegners anwendeten, konnten sie sich einfach und effektiv aus dem Pressing lösen und auch die Ansätze der Eintracht nach der Umstellung ersticken. Anschließend gingen die Gastgeber nur noch gelgentlich ins Angriffspressing und formierten sich eher in einem etwas tieferen Mittelfeldpressing, das aber wiederum Romeu & Co. zuviel Platz ließ. So konnte der Spanier bei der Szene vor dem 1:2 unbedrängt verlagern, während Schwaab später ein, zwei Weltklasse-Eröffnungen spielen durfte.
Insgesamt konnte sich der VfB im offensiven Mittelfeld deutlich steigern und profitierte dabei vor allem von Maxim und Harnik. Die beiden passten gut zusammen und bildeten ein bewegliches Duo mit stark abgestimmten Bewegungen, während der Rumäne zusätzlich noch gut mit Gentner harmonierte. Sararer und Kostic waren nicht ganz so gut angebunden, aber konnten aus ihrer breiten Position heraus in Dynamikmomenten gute individuelle Szenen entwickeln.
Die 6-Tore-Halbzeit
Nach der verkorksten ersten Hälfte wechselte Frankfurt zur Pause zwei neue Flügelspieler ein: Aigner und Stendera ersetzten Inui und Piazon. Darüber hinaus passte Schaaf das System seiner Eintracht ein weiteres Mal an: Die beiden Sechser waren jetzt vertikal gestaffelt, anstatt horizontal, sodass Hasebe als Achter/Zehner vor Russ stand und bei Bedarf weit nach vorne rücken durfte. Mit diesem 4-1-3-2 hatten sie naturgemäß weniger Präsenz im Aufbauspiel, aber den Ansatz, Stuttgarts Pressing spielerisch knacken zu wollen verwarfen die Hessen ohnehin. Stattdessen bauten sie über lange Bälle auf und nutzten Hasebe und die einrückenden Flügelspieler (bzw. Halbspieler) für das Aufsammeln von Abprallern.
Der VfB tat es den Gastgebern gleich. Spätestens nach dem 1:3 verlegten sie sich ebenso auf lange Bälle, die wegen ihrer breiten Viereroffensive einen Tick umständlicher gegenzupressen waren. Anschließend konnten sie die verwaisten Räume neben Russ angreifen. Das Resultat war viel Tempo, viel Hin und Her nach zweiten Bällen, und ein offenerer Spielcharakter. Das starke Pressing brachte den Schwaben damit nicht mehr viel, stattdessen kamen die Schwächen der unsauberen und chaotischen Defensivspielweise zum Vorschein. Auch die geistige und körperliche Aktivität ließ beim VfB nach, was sich in nachlassender Rückwärtsarbeit und schwächeren Staffelungen äußerte. Bei dem ohnehin riskanten Verteidigungsstil war das natürlich umso gravierender und ermöglichte es den Frankfurtern, Präsenz und Gefahr zu entwickeln, und so beispielsweise das weiträumige Defensivspiel von Sakai (und nach dessen Auswechslung Klein) mit Aigners Läufen zu attackieren (siehe 3:2-Treffer). Darüber hinaus ging der VfB eine kurze Phase lang nicht mehr konsequent auf die zweiten Bälle und sie nutzten ihr Pressing auch nicht mehr situativ - beides entscheidende Aspekte beim 3:3.
Kurzum: Sie verpassten es, in der zweiten Halbzeit, eine Reaktion auf die veränderte Spieldynamik zu zeigen und verloren damit die Rhythmuskontrolle. Zwar kamen sie noch zu Kontern und Torchancen, aber nicht mehr aus dem eigenen Matchplan heraus, sondern weil Frankfurt es zuließ.
Mit der Zeit stabillisierte sich der VfB wieder ein bisschen. Durch die Wechsel gab es frische Kräfte, und die Schwaben fanden vereinzelt in ein kontrolliertes Ballbesitzspiel hinein. Nichtsdestotrotz blieb das Spiel offen und es gab Chancen auf beiden Seiten. Letztendlich ergab sich sich auch für die Stuttgarter noch eine Phase der Effektivität, bei der sie ironischerweise Frankfurts ihrerseits unangemessene Reaktion auf die 4:3-Führung bestrafen konnten (Ignjovskis Aufrücken beim 4:4).
Fazit
Der VfB dominierte die erste Hälfte mit seinem Pressing, musste aber in der zweiten Halbzeit die Rhythmusdominanz und damit seine Überlegenheit gegen veränderte Frankfurter abgeben. Diese Saison (und eigentlich ist das auch schon länger so) hat der VfB ein großes Problem damit, adäquat auf veränderte Spielsituationen zu reagieren. Eventuell sind dazu mehr und stärkere Anpassungen seitens des Trainerteams nötig, denn aus der Mannschaft heraus passiert in dieser Hinsicht traditionell wenig.
Andererseits ist die Grundeinstellung der Mannschaft klar zu loben. Veh hat seine Schützlinge mit dem Pressing und der Falle halblinks mit anschließenden Kontern hervorragend auf die Frankfurter eingestellt. Auf dem Weg zum Ballbesitzspiel ist er den selben Weg gegangen, wie auch schon der eine oder andere Trainer vor ihm - nämlich doch wieder zurück zu Risiko, Intensität und In-Die-Fresse-Fußball. Diesen mit mehr Flexibilität, mehr Bedachtheit, mehr Reife in den richtigen Momenten zu erweitern ist die große Herausforderung dieser Saison.
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