Montag, 31. August 2015

Zornigers Fehlstart

Drei Spiele, null Punkte. Einen furiosen Start hatte sich der VfB erhofft, ein weitgehend Ernüchternder wurde es. Woran liegts?

Unsauberkeiten im Pressing


Grundsätzlich versucht der VfB aus seinem 4-4-2 schon weit in der gegnerischen Hälfte Druck zu machen. Das Aufrücken ins Angriffspressing geschieht in einer leitenden oder einer kollektiv aufrückenden Variante.

Schema des leitenden Angriffspressings: Ginczek bleibt erst passiv und belauert den Passweg zum Sechser, schiebt dann aber im Moment des Passes sofort auf den Empfänger nach. Der ballferne Stürmer (hier Harnik) übernimmt situativ einen zentralen Mittelfeldspieler und rückt zusammen mit dem Kollektiv hinterher. Idealerweise landet der Spieler im Mittelfeldzentrum in Ginczeks Deckungsschatten, Gentner behält ihn aber zur Sicherheit im Auge, rückt aber nur dann frühzeitig auf, wenn ein Anspiel möglich aussieht. Zurückfallende Außenspieler werden von Klein und Insua aggressiv gepresst. Zu Kostics Mannorientierung (schwarze Linie) gleich mehr.

Wenn der VfB so das Aufbauspiel des Gegners unter Druck setzen kann, ist er stark. Ginczek und Harnik sind wie gemacht für die Rollen als Pressingspitzen. Beide sind schnell, robust, ausdauernd und intelligent. Harnik ist außerdem von seinem Naturell her sehr gut im Leiten des Gegners und schaffte es durch seine gut getimten Bogenläufe bisher fast immer, dem Gegner einen Rechtsfokus im Aufbau aufzuzwingen. Das bereits gut einstudiert wirkende Zusammenspiel der beiden macht die erste Pressinglinie des VfB nicht leicht zu überwinden.

Allerdings gibt es in den Linien dahinter eine Reihe von schwächeren Aspekten, die auch mit der Besetzung zusammenhängen. Gentner und Kostic etwa sind in ihrem Pressingverhalten auf unterschiedliche Weise recht wankelmütig und füllen außerdem merkwürdige Sonderrollen aus

Im Fall von Kostic besteht diese in einer relativ klaren Mannorientierung auf den gegnerischen Außenverteidiger. Wenn dieser tief bleibt, rückt er im Pressing mit auf und man merkt davon nicht wirklich viel, aber wenn der Außenverteidiger weit vorne steht oder dynamisch nachrückt, verfolgt Kostic diese Läufe bis in die letzte Linie. Oft spielt er diese Rolle aber zu simpel und unpräzise. Gegen Frankfurt etwa rückte er zu zaghaft auf den sehr tief positionierten Chandler, wodurch dieser unnötig Zeit am Ball bekam, obwohl er einfach zu isolieren gewesen wäre. In komplexeren Situationen, wie zum Beispiel im Gegenpressing verliert er ohnehin schnell den Überblick und trifft häufig falsche Entscheidungen, was dem Gegner Raum und Zeit verschafft.

Etwas ambivalenter, aber doch auch in Bezug auf ihre Schattenseiten ist die Rolle von Gentner zu bewerten. Der VfB-Kapitän ist seit jeher ein Spieler, der sich gegen den Ball teilweise durch extreme Unzuverlässigkeit und fast schon willkürliche Läufe irgendwohin auszeichnet und schon allein deswegen eigentlich überall nur nicht in einer Doppelsechs spielen sollte. Unter Zorniger hat Gentner darüber hinaus eine ganz merkwürdige, tiefe Rolle, gegen Köln auch verbunden mit einer Mannorientierung auf den gegnerischen Achter/Zehner. Von dieser Position aus unterstützt er improvisiert die Abwehrkette, indem er in Lücken hineinrennt, die etwa durch Herausrücken der Innenverteidiger oder weites Einrücken der Außenverteidiger aufgegangen sind. In ganz zurückgedrängten Konstellationen bringt er seine Physis in der Strafraumverteidigung ein und verstärkt dort die Präsenz.

Tatsächlich funktioniert das Ganze manchmal überraschenderweise gar nicht schlecht und Gentner kann durchbrechende Gegenspieler entscheidend aufhalten. In erster Linie verursacht er aber Probleme mit großem Ausnutzungspotential, weil dafür natürlich das Zentrum geöffnet wird. Aus einem kleinen Moment verzögerten Zugriffs im Mittelfeld wird dann im Abwehrpressing gerne mal ein fieses Rückraumloch.

Gentners tiefe Position hat in dieser Szene keinerlei Nutzen. Frankfurt wiederum nutzt den offenen Raum nicht besondes gut aus.

Außerdem passierten hin und wieder solche Unbalanciertheiten, wie vor dem spielentscheidenden 1:3 gegen die Eintracht.


Mittlerweile kommt es zu so was allerdings seltener als zum Beispiel unter Veh, weil die Angriffe sehr viel schneller abgeschlossen werden und gar nicht so viel Zeit bleibt, um beschissene Staffelungen herzustellen. Hab ich schon erwähnt, dass Gentner nicht Doppelsechs spielen sollte?

Ein weiterer kleinerer Punkt betrifft das Stellungsspiel der Außenverteidiger. Sie haben die Vorgabe, im Pressing bei Bedarf sehr weit aufzurücken, um den Druck aufrecht zu erhalten und beim Kampf um zweite Bälle und seitlichem Nachschieben aggressiv zu sein und weit nachzuschieben. Teilweise erstreckt sich ihr Wirkungsradius so bis in den Sechserraum (neulich zerstörte Insua auf diese Weise ziemlich krass einen gegnerischen Konter). Allerdings wirkt besonders das Verhalten von Klein in dieser Hinsicht etwas unausgewogen und er übertreibt es manchmal ein wenig. Situativ würde es Sinn machen, als Viererkette ein bisschen gestreckter zu stehen, gerade wenn der Gegner in Ballbesitz weit aufgefächert dasteht.

Die Abseitsfalle


Dem nachschiebenden und extrem verengenden Charakters des Pressings folgend, ist offenkundig vorgesehen, den Gegner aggressiv ins Abseits zu stellen; das ganze findet aber oft zu unkollektiv und improvisiert statt und es passieren immer wieder schwerwiegende Fehler. Zwei Treffer kassierte der VfB in den ersten vier Spielen schon aus Situationen, wo diese Schwäche mit simplen langen Bällen ausgenutzt wurde.

Die Kette reagiert oft zu träge auf Signale zum Aufrücken, also zum Beispiel Rückpässe, Verlust des Sichtfeldes, Gegnerdruck und so weiter. Direkt danach kann es sein, dass ein Gegenspieler, etwa wegen den bereits thematisierten Unsauberkeiten im Pressing, schon wieder in einer offenen Stellung ist, während die Verteidiger noch ans Mittelfeld heranschieben. Dann reichen ein langer Ball und ein richtig getimter Lauf zum Erspielen einer Großchance. Dasselbe gilt für die Situationen, in denen das Zurückfallen gar nicht oder nur halbherzig geschieht, obwohl überhaupt kein Druck auf den Ball herrscht. Übrigens ein nettes Beispiel dafür, wie diese beim „hohen Verteidigen“ angeblich so elementare Schnelligkeit auf einmal ganz schön nutzlos wird, wenn man nicht in der Lage ist sich vernünftig zu positionieren.

Zweite Bälle


Der Gegner soll zum Bolzen verleitet werden - und zwar am besten 90 Minuten lang. Das ganze Langholz, das vornehmlich auf die Verteidiger zugeflogen kommt, muss natürlich möglichst konsequent geklärt oder gewonnen werden. Ein Problem ist dabei Adam Hlousek, der als eigentlicher Linksverteidiger neben seinen taktischen Schwächen (siehe Abseitsfalle) koordinativ große Probleme hat und sich physisch kaum behaupten kann. Mit der Verpflichtung des robusten und taktisch klugen Toni Sunjic dürfte diese individuelle Schwachstelle allerdings bald behoben sein.

Bleibt die Positionierung des Mittelfelds als wichtiger Faktor für das Verteidigen der zweiten Bälle. Die war meistens gut, weil sich die bisherigen Gegner nicht so richtig gegen die leitenden Läufe der Pressingspitzen wehren konnten und daher oft früh auf dem Flügel isoliert wurden. So konnten die VfB-Sechser tiefer bleiben und beim Erobern und Sichern der zweiten Bällen mithelfen. Es bleibt wegen der aggressiven und recht achterhaft besetzten Doppelsechs jedoch das Risiko, dass sich im Aufrücken gegen sicher zirkulierende Mannschaften Räume vor der Abwehr auftun, die nach langen Bällen zu gefährlichen Gleich- oder sogar Unterzahlsituationen führen können. Das sollte man auf jeden Fall im Auge behalten.

Der Faktor Zufall


Man mag sich jetzt vielleicht denken, es wäre nur folgerichtig, bei all diesen Problemfeldern mit null Punkten da zu stehen. Man muss aber relativieren, dass der Gegner erst einmal in Situationen kommen muss, in denen er nicht kaputtgepresst wird, um überhaupt an den potentiellen Schwächen des VfB ansetzen zu können. Die hohe Intensität und zumindest in Teilen (vor allem eben in der ersten Linie) doch harmonische Pressingarbeit reichten, um in allen bisherigen Partien die dominante Mannschaft zu sein. Wie man in den Spielanalysen nicht sehr detailliert, aber hoffentlich doch etwas erhellend nachlesen kann, kommt der VfB auf dieser Basis offensiv immer wieder ins Aufrücken und setzt seine Individualisten gekonnt in Szene.

Ein Blick auf die Schussstatistiken bestätigt diesen Eindruck, gegen Hamburg und Frankfurt waren es 12 (zu 14) und 15 (zu 6) Schüsse, wobei man jeweils die Unterzahlphasen im Hinterkopf behalten muss. Gegen Köln waren es sogar 28 zu 9. Das Bild setzt sich fort, wenn man Expected-Goal-Metriken bemüht, die auch die Qualität von Torchancen versuchen zu berücksichtigen (für entsprechende Grafiken empfehle ich den Twitter-Account von Michael Caley). Demzufolge hätte der VfB bei „durchschnittlicher“ Chancenverwertung gegen Köln gewonnen, in Hamburg bei leichter Überlegenheit unentschieden gespielt und Frankfurt wiederum, je nachdem wie man das Eigentor und den Elfmeter bewertet, auch geschlagen oder zumindest einen Punkt abgenommen. Chancenverwertung ist nun zu großen Teilen Glückssache. Der VfB hätte also trotz aller Schwächen mit dem selben Auftreten auch locker 5 bis 7, oder gar 9 Punkte statt überhaupt keinen holen können. Und es fordern tatsächlich Leute, dass man „das System“ wieder einpacken soll?

Ausblick


Irgendetwas schönzureden und die momentanen Probleme zu ignorieren wäre natürlich auch Quatsch. Deshalb kündigte Zorniger nach dem Frankfurt-Spiel auch Maßnahmen an, um seine Mannschaft zu stabilisieren, ohne allerdings bestimmte Kernpunkte anzugreifen. Insgesamt hat man das Gefühl, dass durch die radikale Umstellung auf Aggressivität und Intensität das (davor ohnehin nicht wirklich ausgeprägte) Verständnis für Absicherung und Balance ein wenig zu sehr ins Hintertreffen geraten ist.

Denkbar wäre aus diesem Gedankengang heraus zum Beispiel, dass die Flügelspieler ballfern ein bisschen zurückgezogen werden und weniger aggressiv auf den Ballgewinn spekulieren, dafür aber mehr absichernde Aufgaben übernehmen. In dieser Hinsicht könnte man auch darüber nachdenken, einem Balancegeber wie Maxim mehr Minuten zu geben. Bei der Abseitsfalle könnte ebenfalls ein bisschen Aggressivität rausgenommen werden. Eine Umstellung auf Raute mit einem etwas passiveren 4-3-3-Pressing wäre ebenso möglich, war allerdings in der Vorbereitung noch recht instabil. Mal schauen, was Zorniger macht.

12 Kommentare:

  1. Schön auf die Probleme hingewiesen, aber auch dem, was funktioniert. Sehe das ähnlich. Bezüglich Sunjic, hast du schon Spiele von dem gesehen? Wenn ja, was hälst du von ihm?

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    1. Ich hab nur mal 2-3 Spiele von ihm überflogen, von daher würde ich kein definitives Urteil abgeben, aber das was ich gesehen hab, sah schon echt vielversprechend aus. Kluges Stellungsspiel, sehr robust und kopfballstark, gutes Rausrücken. Aufbauspiel gefällt mir auch und ist angenehm rational. Nichts davon jetzt auf Weltniveau oder so, aber schon ziemlich gut. Kleines Fragezeichen vielleicht hinter Beweglichkeit/Antritt.

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    2. Okay, vielen Dank. Hört sich doch vielversprechend an. Ich habe nur Statistiken von ihm bei Squawka überflogen, was bei Verteidigern immer problematisch ist, aber da sah das im Vergleich zu den Topverteidigern der russischen Liga auch nicht so schlecht aus.

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  2. Bin gerade erst durch die Erwähnung bei Spielverlagerung auf den Blog gestoßen. Liest sich richtig stark :) Die meist guten Ansätze im Angriffspressing (auch das Gegnpressing gefällt mir teilweise ziemlich gut), aber auch die fehlende Balance, die sich in verschiedenen Aspekten äußert, werden sehr treffend beschrieben.
    Ich hoffe trotzdem, dass man an Zorniger und seinem Spielstil festhält. Denn immerhin erkennt man nun eindeutig, wie der VfB spielen will, was in den Jahren zuvor nicht der Fall war. Und positive Ansätze sind auf jeden Fall da, die eigentlich, wie gesagt, auch zu Punkten hätten führen müssen.
    Aber natürlich müssen jetzt auch Anpassungen vorgenommen werden. Ein von dir erwähnter, möglicher Einsatz von Maxim würde mir zum Beispiel sehr gefallen. Für wen würdest du ihn denn aufstellen (Gentner?) und was würde das für mögliche Änderungen nach sich ziehen? Gruezo wäre sicherlich auch eine Überlegung wert, um die Balance zu verbessern.

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    1. Wenn man beim 4-4-2 bleiben will, könnte ich ihn mir gut als Rechtsaußen vorstellen, von dem eher weggeleitet wird und der dann ballfern ein bisschen kompakter steht und Räume zumacht. Offensiv gäbe es auch gute Synergien mit Harnik und man würde das Zentrum generell ein bisschen kombinativer füllen, versuchen klarere Durchbrüche zu erzeugen und so. Dafür müsste aber einer der beiden Individualkünstler raus oder auf eine unpassende Position, also wird das eher nicht passieren.
      Ansonsten gibts natürlich noch ganz viele interessante Möglichkeiten mit Raute, dann auch mit sinnvollen (und realistischen) Rollen für Gentner.

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    2. Welche Position hälts du für Gentner am geeignetsten? Halbrechte 8 im 433 oder gar 10 im 4231? Denke beide Formationen passen besser zum Personal? Mit gefällt die Ausrichtung aber nicht im 442.

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    3. RV wäre meiner Meinung nach ideal, aber im Grunde kannst du einen Bogen um den Sechserraum schlagen und alles passt ganz gut. RV, RM, offensiver 8er, 10er, sogar als LV könnte ich ihn mir gut vorstellen (LM aber eher nicht).

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  3. Ich bin dafür, für Bewegungen wie bei 18:11 oder 66:00 den Begriff "gentnern" (wahlweise auch "rumgentnern") einzuführen.

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  4. Achja, und nach drei Spielen bei nem rough xG von 6,1 zu 3,3 am Ende mit 4 zu 10 Toren dazustehen, hab ich glaube so auch noch ne gesehen

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    1. Naja, ich wäre da vorsichtig, ExpG als das Maß aller Dinge darzustellen. Ich denke eher, dass die Chancen, die zugelassen werden, qualitativ hochwertiger sind als sie nach ExpG sein dürften. Fast alle Gegentore diese Saison waren von der Kategorie "Den muss der Angreifer machen", und genau das ist dann auch passiert. Gut, im Angriff ist bei der Chancenverwertung sicher noch Luft nach oben, aber das scheint mir aktuell auch nicht das Hauptproblem zu sein.

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  5. Dortmund letzte Saison sah genauso aus. Ohnehin hatte Dortmund unter Klopp dieses Problem schon systemisch und auch Leverkusen hat letztes Jahr klar underperformed. Die Metrik scheint die Kombination Angriffspressing/Schnellangriffe insgesamt etwas zu gut zu bewerten. Dagegen das Gladbacher tiefe Abwehrpressing/Ballbesitzspiel bekanntermaßen zu schlecht.

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