Dienstag, 24. November 2015

Zornigers Irrfahrt

Trainerentlassung die x-te. Der folgende Text fasst Zornigers Amtszeit aus taktischer Perspektive zusammenfassen und stellt dar, inwieweit sich diese mit der Entscheidung vom Dienstag in Einklang bringen lässt.

Vor ein paar Monaten ist hier bereits ein Artikel erschienen, der die Stärken und Schwächen des VfB in der eigentlich sehr dominanten und intensiven, aber doch vollkommen erfolglosen Anfangsphase aufgezeigt hat. Meine Zusammenfassung von Zornigers kurzer, wenn auch sehr eindrücklichen Zeit als VfB-Cheftrainer verteilt sich nun auf diese beiden Artikel. In diesem hier soll vor allem seine Reaktion auf die Sieglosigkeit und nicht zuletzt auf die Verletzungen einiger Schlüsselspieler aufgezeigt werden. Szenen zur Veranschaulichung finden sich oft in den Artikeln zu den entsprechenden Spielen.

Einmal 4-1-4-1 und zurück


Eine erste Formationsumstellung fand am 4. Spieltag gegen Hertha BSC statt, als der VfB nicht im üblichen 4-4-2, sondern in einem vergleichsweise passiven 4-1-4-1 begann. Coachingtechnisch war das eher ein Griff ins Klo, weil Hertha es sehr gut verstand, die Stuttgarter Mittelfeldspieler ins Pressing zu locken und mit ihrer extrem beweglichen Doppelsechs die entstandenen Lücken neben dem alleinigen Sechser attackierten. Daraus entwickelten sich eine extrem dominante Anfangsphase, in der die Berliner bei fast jedem ihrer Angriffe das Pressing des Gegners sauber überwinden konnten. Nach dem folgerichtigen 1:0 wurde der VfB gegen den Ball aggressiver und das Spiel ungeordneter, aber es blieben zu viele Unsauberkeiten in der improvisiert wirkenden Formation, um das Spiel wirklich dominant zu gestalten.

Nach dieser eher misslungenen Umstellung, setzte Zorniger zunächst wieder auf das altbewährte 4-4-2. Gegen Schalke kamen außerdem Maxim und Werner in die Mannschaft und sorgten zusammen mit dem schwachen Pressing des Gegners und einer günstigen Asymmetrie für einen einigermaßen zerstörerischen Auftritt ohne glückliches Ende. Etwas spezieller war das Spiel gegen Hannover, die mit einer sehr ungewöhnlichen 4-3-2-1-Formation dagegenhielten und über ihre Kompaktheit einiges ausrichten konnten. Zum Abschluss der Englischen Woche ging es mit ein paar kleinen Veränderungen gegen Borussia Mönchengladbach. Kostic spielte nicht mehr so mannorientiert wie sonst, Gentner stand höher, Didavi enger. Allerdings wurde nicht alles davon richtig in die Abläufe einsynchronisiert und die Mechanismen waren dementsprechend instabil. Trotzdem presste der VfB sich zu einer optischen Überlegenheit, blieb aber ohne Lohn.

Die Verletzungen und weitere Umstellungen


Nach diesem Spiel änderten sich einige Dinge grundlegend, und das hatte auch mit den Verletzungen zu dieser Zeit zu tun. Nach der Partie gegen Gladbach fielen auf einen Schlag Ginczek, Kostic und Gentner aus, was den Weg frei machte für Werner, Rupp und Maxim. Das heißt, auf einmal stand da beim VfB so ziemlich das spielstärkste, kombinativste und vielfältigste Personal auf dem Platz, das man sich aktuell vorstellen kann. Schade bloß, dass keiner damit was anzufangen wusste.

Die Spiele gegen Hoffenheim, Ingolstadt und Darmstadt zeigten allesamt die selben Probleme gegen tiefe Abwehrreihen. Der alte Rhythmus wurde nicht an das neue Personal angepasst: Es gab im Angriffsspiel wenig Raumwechsel und oft nur stumpfes Durchspielen auf der Seite, kaum strategische Elemente und viel zu viele unsinnige Flanken auf die imaginären Köpfe von Ginczek und Gentner. Ein paar Beispielszenen und weitere Erläuterungen, warum das  Ballbesitzspiel des VfB überwiegend ziemlicher Schrott war, finden sich im recht allgemein gehaltenen Artikel zum Darmstadt-Spiel. Um es kurz zu machen: Man merkte, dass das Pressing höhere Priorität im Training genoss.

Wenn aus dem flachen Aufbau nichts geht, dann halt lange Bälle, wie immer, oder? Leider nein. Ohne den langzeitverletzten Ginczek und den seit Darmstadt ebenfalls verletzten Harnik fehlten die beiden wichtigsten Zielspieler. Außerdem bröckelte mit der Zeit auch das Gegenpressing und das Aufrücken der Sechser. Diese positionierten sich oft etwas zu gleichgültig zum Ball, wenn dieser gerade in den eigenen Reihen war oder nach vorn geschlagen wurde. Dadurch bekamen sie nach Ballverlust keinen direkten Zugriff und statt schneller Ballrückeroberung mussten sie sich erst einmal zurückziehen oder konnten erst verzögert Druck machen. Im Gegenpressing ließ aber auch das ganze Kollektiv etwas nach und es entstanden einige Situationen, in denen die Chance auf den Ballgewinn da gewesen wäre, aber einfach keine direkte Zugriffsbewegung stattfand.

Der VfB verirrt sich


Eine weitere "große" formative Umstellung folgte dann im Spiel gegen Bayer Leverkusen: Zorniger packte die zuletzt in der Vorbereitung eher mäßig überzeugende Raute mit etwas passiverem 4-3-3-Pressing aus. Die lenkende Wirkung auf den Gegner wurde damit umgedreht: Keine Bogenläufe nach außen mehr, sondern Zustellen der Außenverteidiger und Leiten ins kompakte Zentrum. "Kompakt" ist dabei vielleicht nicht das richtige Wort, denn der Raum neben der Mittelfeldreihe war oft ohne Weiteres frei und - viel gravierender - das Verschieben zur Seite bei langen Bällen auf den Flügel wirkte teils völlig unorganisiert. Der Raum zwischen dem attackierenden Halbspieler und dem Sechser ging immer wieder auf und entwickelte sich zur Lieblingsspielwiese von Mehmedi & Co.

Ähnliches passierte gegen Bayern, als der VfB überwiegend "nur" ins Mittelfeldpressing kam und dessen Probleme bei der Arbeit gegen den Ball immer wieder offengelegt und mit Gegentoren bestraft wurde. Das begonnene 4-3-3 wurde über ein paar unangenehme Zwischenstufen in ein allerdings auch nicht viel geordneteres 4-4-2 umgeformt, welches letztendlich ohne die prägenden Elemente des Saisonstartsystems ebenso wenig funktionierte.

Zornigers letztes Spiel gegen Augsburg war der Versuch, wieder komplett zum Angriffspressing-4-4-2 zurückzukehren. Da er allerdings schon seit Monaten seine Abwehrkette deutlich zurückgezogen hatte, war dieser Übergang nicht mehr so einfach möglich. Die Kompaktheit war in der Vertikalen viel schwächer und gegen die sicher zirkulierenden und dann gezielt mit langen Bällen angreifenden Augsburger der Spielentscheider. In diesem Spiel zeigten sich auch die Defensivmechanismen von ihrer schwächsten Seite. Das Prunkstück des Pressings, das Anlaufen der Spitzen, war deutlich schwächer als in den ersten Spielen und das Mittelfeld konnte weder Kontakt zur Sturmreihe noch zur zurückweichenden Abwehr herstellen. Zornigers Aussage vor dem Spiel, sein Team sei schon mal weiter gewesen, bewahrheitete sich in vollem Umfang. Reparieren statt Entwickeln schien schon nach 13 Spieltagen auf dem Plan zu stehen - wäre da nicht die Entlassung gewesen.

Fazit


Was bleibt also festzuhalten? Zorniger hat es nie so richtig geschafft, ein harmonisches, gut abgestimmtes Pressing auf den Platz zu bekommen. In den besten Phasen zu Saisonbeginn war es sehr intensiv und vorne gut genug abgestimmt, um die hinteren Reihen ausreichend abzsuchirmen. Allerdings waren auch da immer wieder kleine Situationen dabei, in denen das mangelhafte Verschieben im Mittelfeld oder die schwache Abseitsfalle ausgenutzt werden konnten. Auch mit der Zeit wurden diese Probleme nicht kleiner, sondern durch die Verletzungen und Zornigers eher schwache Reaktion darauf in Form von Systemumstellungen, sogar eher größer. Im Endeffekt bleiben von seinen Fußball eigentlich nicht viel mehr als Intensität und Konsequenz. Und das ist für einen Trainer, der sich wie kein Zweiter dem Spiel gegen den Ball verschrieben hat, ein bisschen wenig.

Sicher war auch viel Pech dabei: Die gleichzeitigen Ausfälle von Harnik und Ginczek waren etwas unglücklich, hätte man aber auch besser auffangen müssen. Eine ernstzunehmende Chancenverwertung in den ersten Spielen hätte womöglich der Entwicklung der Abläufe und auch generell in psychologischer Hinsicht gut getan und die im Nachhinein eher kontraproduktiven Umstellungen vielleicht unnötig gemacht.

Trotz allem scheint es, als würde der VfB seinen Weg nicht verlassen wollen. Das ist auch gar nicht verkehrt, denn die Probleme sind zu wenig grundsätzlich, als dass man alles über den Haufen werfen müsste. Wo man zum Beispiel ansetzen könnte: Mehr Detailarbeit im Pressing, mehr Kollektivität, mehr Vielfältigkeit, Gentner auf eine sinnvolle Position stellen, ... und am allerwichtigsten: Eine hochwertige und kreative Lösung für den Trainerposten finden.

3 Kommentare:

  1. "und am allerwichtigsten: Eine hochwertige und kreative Lösung für den Trainerposten finden."

    Das mag ja in der Theorie stimmen, in der Praxis muss man sich aber schon fragen weshalb die Mannschaft seit Sommer 2013 den siebten Trainer hat (Labbadia, Schneider, Stevens, Veh, Stevens, Zorniger, Kramny/Mister-X), die sowohl in Spielweise wie Mentalität grundverschieden sind.

    Nach dem erschreckend leblosen Auftritt am Samstag gegen Augsburg kann man nur eines feststellen, diese Mannschaft hat keinen Charakter, daher scheitert sie seit Jahren. Es fehlen Führungsspieler, diejenigen, die vorgeben welche sein zu wollen machen das eher alibimäßig. Kein einziger Spieler auf dem Platz vermittelt den Gedanken die anderen mitreißen zu wollen, den Sieg wirklich mit allen Mitteln zu wollen - und dabei gleichzeitig intelligent vorzugehen.

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    1. Ich finde schon, dass ein großer Teil der Probleme mit unpassenden Trainern zu tun hat. Veh und Zorniger (Labbadia auch?) haben ja z.B. gemeinsam, dass sie zwar viele Ideen hatten, aber es so ein bisschen im Feintuning und in den Abläufen gehakt hat. Und das ist halt auch schon länger ein Problem, bei dem man auch vorher wissen konnte, dass die beiden das eher nicht beheben würden.

      Aber was natürlich stimmt ist, dass nicht jeder "nicht optimale Trainer" immer gleich im Abstiegskampf landen und entlassen werden muss. Ich kann mir schon vorstellen, dass da neben anderen Faktoren auch ungewöhnlich starke psychologische Sachen drinstecken. Die sind aber wenn dann sicher komplexer als "kein Charakter und keine Führungsspieler".

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  2. "Gentner auf eine sinnvolle Position stellen" - dies ist für mich der Kern. Er kann die Mannschaft weiterbringen, aber eher als ein Spieler der überraschede Aktionen zeigt, Lücken beim Gegner reisst und Disbalancen herstellt. Also Freiheiten besitzt. In der Position die er in den letzetn Jahren zumeist spielen musste, ist er meiner Meinung nach eher einer der Gründe, warum die Lücken oft so groß sind und die Abstimmung nicht funktioniert.Ich halte es für keinen Zufall, dass der VfB gegen Ingolstadt ohne Gentner das möglicherweise kompakteste Auftreten der Saison hatte.

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